Reiseberichte aus der Mongolei Jens Geu

Protokoll einer Reise um den Changai

Reisebeginn

Eigentlich ist es geplant, die Reise mit zwei russischen UAS zu starten. Das Begleitfahrzeug fällt jedoch aus, da der Japaner, der mit uns die Reise durchführen wollte, doch eine andere Tour fahren möchte. Bei der Vorbereitung ergibt sich ein zweites Problem: die russischen Benzinlieferungen werden kurzfritig eingestellt, ein Anstieg des Rohölpreises hat dazu geführt, dass man das Öl anderweitig veräußert und die Lieferverträge sind damit nur noch Papier. Für uns spitzt sich die Situation zu, da der Literpreis auf 2 DEM steigt, was bei einem geplanten Bedarf von etwa 600 Litern die Fahrt mit einem Begleitahrzeug ohne Mitfinanzierer nicht mehr zulässt. Also brechen wir allein auf, mit dem etwas unguten Gefühl, ob es "draußen" überhaupt noch Benzin gibt. Außerdem können wir die geplante Route über die Süd-West-Gobi nicht wählen, da man sich dort ohne Begleitfahrzeug nicht bewegen sollte.
Ulaanbaatar – Karakorum

Dieser Abschnitt läßt sich relativ schnell bewältigen, da man sich hier überwiegend auf Asphalt bewegt. Allerdings hat die Straße im Vergleich zu den Vorjahren stark gelitten und nähert sich stellenweise dem Verfall. Ganz anders sieht es auf den letzten Kilometern vor Karakorum aus, hier ist eine neue Strasse gebaut worden, die ohne Makel das Gelände durchzieht. Zur Freude der vorwiegend japanischen Touristen, die gern mal für ein paar Stunden nach Karakorum fahren.
Karakorum – Zezerleg

                              

Zu unserem Erstaunen setzt sich nachdem wir den "Touristentrubel" von Karakorum hinter uns gelassen haben, der Erddamm einer neuen Straßentrasse fort. Es ist ein Teil der neuen mongolischen Ost-West-Verbindung die in den nächsten Jahren entstehen wird. Während unserer Fahrt am östlichen Fuß des Changai in nord-westlicher Richtung setzt Regen ein und die Temperaturen der vergangenen Tage von fast 40 °C fallen auf magere 20 °C.

Karakorum – Khorgo

Das landschaftlich ausgesprochen schöne Khorgo Naturschutzgebiet kündigt sich mit einem Flussbett an, das sich scharf in die Steppe eingeschnitten hat. Die Straße quert diesen Fluss, der dann urplötzlich im Gelände verschwindet. Die Erklärung dafür ist die Tatsache, dass das schnell fließende Wassser schon nach wenigen hundert Metern einen etwa 30 Meter tiefen und sehr steilen Cañon gebildet hat.

Einige Kilometer weiter erreicht die Piste noch einmal den Rand des Cañon, der hier schon mindestens 80 Meter tief sein muss. Von oben sieht man auf das glasklare Wasser, das manchmal tosend über eine Schwelle stürzt und dann wieder in großen, tiefen Becken fast zum Stillstand kommt. Die Steilhänge sind überwiegend mit Lärchen bewachsen, die sich förmlich in die Felsen krallen.

Khorgo – Ich Uul

Neben dem erloschenen Vulkan bildet der Terchin Zaagan Nuur das Zentrum des Khorgo-Naturschutzgebietes. Der See ist etwa 30 Kilometer lang und liegt vor der Kulisse eines 3'000 Meter hohen baumlosen Gebirgszuges, während die Berge im Rücken von dichter Taiga bewaldet sind. Ein idealer Campplatz am Ufer des Sees lässt uns zu dem Entschluss kommen, hier für zwei Tage zu bleiben.

Über Nacht schiebt sich eine Regenfront von Osten auf die Hochebene und schüttet stundenlang Wasser aus. Damit hat die Regenzeit endgültig begonnen und es ist nicht zu erwarten, dass in dieser "Wetterecke" in den nächsten Tagen Sonnenschein zurückkehrt.

Die Wellen am See schlagen "ostsee"-hoch und am Nachmittag des nächsten Tages nutzen wir eine Regenpause zum Packen. Wir wollen schnell den 2'600 Meter hohen Solongot Pass überwinden, bevor diese sowieso schon schwierige Piste von den Regenfällen aufgeweicht ist. Außerdem wird von den Wolkenmassen nur ein Teil den Weg über den Changai zurücklegen und damit ist westlich des Gebirges trockeneres Wetter zu erwarten.

Ich Uul – Tosonzengel

Während unserer Fahrt treffen wir immer wieder auf im Bau befindliche Teilstücke eines neuen Straßenkörpers, der schon erwähnten neuen Trasse. Teilweise weicht diese bis zu 30 Kilometer von der jetzigen Naturpiste ab. Bei Ich Uul wählt sie zum Beispiel ein anderes Tal, da das aber landschaftlich bedeutend interessanter ist wird das den späteren Nutzer freuen.

                       

Bei Tosonzengel ändert sich auch die Vegetation. Die ersten für die Westgobi bekannten Pflanzen tauchen auf. Die für die Mongolei so typische Nord-Südseiten-Bergvegetation ist hier besonders ausgeprägt. Vor allem wenn man lange Täler in Ost-West-Richtung durchfährt, hat man auf der einen Seite immer die südorientierten Berghänge mit ausgeprägten Trocken- und Wüstenpflanzen im Blick, während auf der Gegenseite die Nordhänge mit dichter Taiga eher an Norwegen erinnern.

Tosonzengel – Uliastai


Der erste Teil dieser Stecke verläuft über brettflaches Gelände in einem ausgesprochenem Trockengebiet, auch jetzt fällt hier kein Regen. Man kommt in diesem Gelände sehr schnell voran und kann auf der Naturpiste auch gut und gerne mal 90 km/h fahren. Kleinere Sandgebiete sind die Ableger der etwa 20 Kilometer westlich der Trasse beginnenden Flugsandfelder. Im zweiten Teil der Strecke geht es aber wieder zurück in den Changai und damit auf mühselige Passtrassen oder besser -wege.

Uliastai – Otgon Tenger

Uliastai ist sicher in Hinblick auf seine landschaftliche Lage betrachtet die interssanteste Bezirksstadt der Mongolei. Die Stadt selbst liegt inmitten von 3'000 Meter hohen Bergen in einem Flusstal.

Es sind nur 50 Kilometer zum Otgon Tenger, den mit 4'021 Metern und von Schnee gekröntem Haupt des Changai und in entgegengesetzter Richtung erreicht man nach kaum 40 Kilometern den Mongol-Els, eines der größten Sandünengebiete der Mongolei.

Von Uliastai geht es zunächst auf schmalen, aber halbwegs instand gehaltenen Wegen auf Hochweiden mit Tundravegetation, lichten Lärchenwäldern und ausgedehnten Sümpfen. Aber hier enden auch alle Wege. Wir versuchen durch Abschreiten einen Weg durch Sumpf und Tundragestüpp zu finden. Nach kurzem müssen wir feststellen, dass es ein sinnloser Versuch ist, so an den Fuß des Otgon Tenger zu gelangen. Wir "fahren" zurück zur letzten Jurte und wollen uns Pferde organisieren.
Camp am Otgon Tenger

Zunächst werden wir von den Bewohnern mit etwas Zurückhaltung empfangen, denn der Berg gilt als heilig und von der Idee auf einen Berg zu klettern, halten Mongolen im allgemeinen sowieso nicht viel, denn da oben gibt es ja eh nichts und fotografieren lassen kann man sich ja viel schöner mit dem Berg im Hintergrund.

Da der Alltag eines Nomaden unter den rauhen Bedingungen des mongolishen Alltages davon bestimmt wird, nur Dinge zu tun, die einen Nutzen erbringen und ihm der lange Winter eine vielzahl extremer Abenteuer bereithält, ist diese Einstellung völlig verständlich. Nach einem langen gemeinsamen Abend und einigen Flaschen Rotwein aus unseren Beständen sind sie dann doch noch bereit, uns zu helfen. Zudem haben sie natürlich Spaß daran, gerade den Leuten aus UB zu beweisen, das sie die Regeln der Marktwirtscht beherrschen, indem jetzt intensiv über den Preis der Dienstleistung verhandelt wird, zum anderen hat sie auch ein gewisser Ehrgeiz ergriffen, wenn wir gerade mit ihrer Hilfe das Unternehmen durchführen, denn von dieser Seite, das heißt der Westseite, ist schon seit Jahren niemand mehr auf den Berg gekommen.

                 


Zum Otgon Tenger?

Am nächsten Vormittag wird das Gepäck zusammen gestellt und die geeigneten Pferde werden bei verschiedenen Familien zusammen gesucht. Während dessen verschlechtert sich das Wetter und kurze starke Regen peitschen gegen das Zelt. Das bedeutet verschieben auf den nächsten Tag.

Die Nacht wird verdammt kalt und die durchnässten Sachen beginnen zu gefrieren. Der nächste Morgen präsentiert sich zwar in einem fantastischen Licht, aber das Wetter ist wieder wechselhaft. Wir wägen alle Argumente ab und entschließen uns, nur einen Tagesauflug mit den Pferden zu unternehmen. Größtes Problem bei einer Tour zum Otgon Tenger ist, dass wir mehrere Flussdurchquerungen vor uns haben und dabei es nicht sicher ist, dass das Gepäck immer trocken bleibt. Bei diesem Wetter bedeutet das, es nicht mehr trocken zu bekommen. Außerdem sind vier Tage auf dem Pferderücken bei kaltem Regen kein Spaß. Also wählen wir uns als Ziel einen näher gelegenen Bergrücken, der bis weit an den Gipfel zu Pferde bewältigt werden kann.  
                                                                                                                                 Reitausflug

Stundenlang geht es immer quer zum Steilhang nach oben und die Aussicht wird immer besser und die Stimmung ist gewaltig. Meist ist der Blick auf den Otgon Tenger frei.

Wie Ziegen klettern die gut ausgewählten Pferde unablässig nach oben. Gut 200 Höhenmeter unter dem Gipfel ist aber Schluss. Von hier ab läuft nicht mal mehr ein mongolisches "Gebirgspferd". Was den uns begleitenden Araten gar nicht gefällt, denn ein Mongole vom Lande läuft eigentlich nie. Wir erreichen den Gipfel dennoch gemeinsam nach einer kurzen Kletterei und kochen uns beim schönsten Sonnenwetter eine Suppe.

             

Als wir uns gerade daran machen, die Köstlichkeit aufzuteilen, verdunkelt sich im Westen der Himmel. Nach fünf Minuten sitzen wir unter Felsvorsprüngen in einem Schneegewitter. Binnen kurzem verschwinden die Blüten der wunderschönen alpinen Pflanzen unter einer weißen Decke. Als nach fast einer Stunde die Sonne wieder die Herrschaft übernommen hat, beginnt die Schneedecke sofort wieder zu tauen. Beim Abstieg werden wir noch zweimal vom Eisregen getroffen, bis wir das trockene Zelt erreichen.
                                                                     
Otgon Tenger – Mongol Els

Am nächsten Mittag verlassen wir die Nomaden auf der Hochweide, nicht ohne die obligatorische Fotosession, wo jeder mindestens mit jedem einmal in Ehrenhaltung abgelichtet werden muss.

Der Rückweg nach Uliastai geht diesmal ziemlich schnell und von dort fahren wir gleich weiter die knapp 40 Kilometer zum Mongol Els. Wir erreichen noch den Rand dieses riesigen Sanddünengebietes und bauen unser Zelt auf.

Am nächsten Morgen ist es bereits nach kurzem heiß und luftig, so dass alles, was in den letzten Tagen nass geworden ist, innerhalb weniger Minuten salz-trocken wird. Wir fahren einige Kilometer in die Sanddünen hinein und liegen in der Sonne im warmen goldenen Sand. Das ist das eigentlich einmalige an dieser Landschaft: das unmittelbare Zusammentreffen der Taiga mit den Sanddünen der Gobiausläufer. Es gibt hier sogar eine Stelle, an der die Sanddünen in den Lärchenwald mit Moos und Pilzen ausstreichen. Der Mongol Els selbst ist eine Landschaft aus Fels, der von glänzendem Wüstenlack überzogen ist, Flüssen, die sich nach und nach im Boden verlieren, Dornenpflanzen und natürlich goldgelben Sanddünen.

Mongol Els – Bajanchongor

Am Abend verlassen wir die Wüstenlandschaft und tauchen wieder ein in die grünen Berge, den Changai. Nach etwa zwei Stunden Fahrt erreichen wir in 2'500 Meter Höhe einen See in völlig baum- und strauchloser Hochsteppe. Der Wind hat Sturmstärke erreicht und die Wellen tragen Schaumkronen. Das aufgewühlte nährstoffreiche Wasser dieses Sees birgt eine Vielzahl kleiner und großer Fische, was durch die Anwesenheit von unzähligen Möwen belegt wird. Eigentlich ein idealer Campplatz, aber der Sturm, passt so gar nicht dazu.

Wir wollen bis zum Einbruch der völligen Dunkelheit noch ein geschütztes Tal aufsuchen, aber es kommt wie es kommen musste; wir befinden uns auf einem Hochplateau und hinter jedem Owoo geht es nur in die nächste Hochebene. Der Höhenmesser pegelt sich zwischen 2'300 und 2'900 Metern ein und die Temperatur und der Wind sind recht ungemütlich. Im Dämmerlicht machen wir eine Felsformation aus, die einige windgeschützte Nischen verheißt. Dort gelingt es uns, mit Mühe wenigstens ein kleines Zelt zum stehen zu bringen.

Am nächsten Morgen sieht es nicht viel besser aus, und wir sind froh, als wir nach einigen Stunden wieder am Fuß des Changai stehen. Die nächsten hundert Kilometer bis Bajanchongor führen durch eine Halbwüstenlandschaft, die uns schon mit reichlich Sand im Wind empfängt. In der Mittagssonne wird es auch trotz des Sturmes gemütlich warm.
Bajanchongor – Arwaicheer

Als wir Bajanchongor erreichen, ist es schon spät am Nachmittag und wegen des Sturmes ist kaum ein Mensch auf den Straßen. Wir suchen eine Kneipe an der Hauptstraße auf, und trinken ein paar Bier um dem ständigen Windgeheul ein paar Minuten zu entgehen.

An den Campplatz für heute haben wir nur eine Anforderung – windgeschützt. Als wir ungefähr 50 Kilometer weiter Richtung süd-ost und wieder in den südlichen Ausläufern des Changai sind, finden wir das, was wir suchen: ein nahezu windstilles Tal mit Felsen, Wüstengestrüpp und einem Bach in der Nähe, also urgemütlich. Es wird sogar noch so windstill, dass man wieder ein Lagerfeuer entzünden kann.

Der nächste Tag führt weitestgehend durch Federgrassteppen, wie man sie eigentlich nur in der Ostmongolei findet. Hier sind auch praktisch keine Jurten und kein Vieh zu finden. Langsam verschwinden auch die Berge des Changai aus dem Blick, die uns fast drei Wochen begleitet haben.

Arwaicheer, das wir dann erreichen, liegt zwar am Fuße des Changai, aber man nimmt das Gebirge hier nicht mehr wahr. Das ist auch das sichere Zeichen dafür, dass diese wunderbare Tour zu Ende geht.

Arwaicheer – Ulaanbaatar

Bis zum Abend erreichen wir noch die Straßenkreuzung zum Karakorum-Highway. In dem anschließenden Tal bauen wir unseren letzten Lagerplatz. Dieser Ort wird von Tourismusmanagern auch "Kleine Gobi" genannt. Tatsächlich erinnert einiges hier an den Gobi-Altai: es gibt ein mehrere Quadratkilometer großes Sandfeld, Sumpf, Kameldorn und die umliegenden felsigen Berge leuchten in Farben, wie sie sonst nur der Gobi-Altai bereit hält. Aber es ist nur optisch mit der Gobi vergleichbar, da der Eindruck radikal gestört wird, durch eine Asphaltstraße mit Rastplatz und Bierbuden, fünf Touristencamps und einer Unmenge von Weidevieh. Außerdem sind die Berge in der Gobi ungleich höher und farbenreicher, die Sanddünen nicht zehn, sondern zweihundert Meter hoch und Japaner selten.

Die kleine Gobi ist nämlich extra für die Kurzreisenden aus Fernost erfunden worden, da man in knapp acht Stunden auf der Asphaltstraße Ulaanbaatar erreicht. Der Sonnenuntergang ist aber nichts desto trotz einmal mehr ein Naturschauspiel, dass man in Ulaanbaatar so nicht mehr erleben kann. Bis dahin sind es nur 250 Kilometer, für mongolische Verhältnisse keine Entfernung, aber eine völlig andere Welt.

Jens Geu, Sommer 1999