Reiseberichte aus der Mongolei Jens Geu


Uws - Landschaft der Extreme


Der russische UAS rattert über knochenharte Waschbrettpisten, die aufgewirbelte Staubfahne ist noch nach Kilometern zu sehen und dient den nachfolgenden Fahrzeugen im Konvoi zur Orientierung in der scheinbar endlosen Wüstenebene östlich des Khyargas Nuur. Hier in der Wüste außerhalb der Wüste, denn die Großlandschaft der Gobi liegt einige hundert Kilometer südlich, hat es wochenlang nicht geregnet. Die Niederschläge des Frühjahres sind offensichtlich an der Hochebene vorbeigegangen, aber das kaum vierzig Kilometer nördlich liegende Hochgebirge hat genug davon abbekommen, im Frühsommer 2005. Dort gibt Nadelwälder, Bäche und grüne Almen, hier dominiert der Staub. Jedes mal, wenn man bei einem kurzen Stopp den Horizont mit dem Fernglas absucht glaubt man einen See entdeckt zu haben. Nachdem sich einige als Trugbilder der aufsteigenden heißen Luft erwiesen haben, zeigt ein See immer deutlichere Umrisse, der Khyargas Nuur, der viertgrößte See der Mongolei liegt vor uns. Ein Salzsee von über 70 Kilometer Länge und azurblauer Farbe inmitten einer Wüste, die nur vertrocknete Sträucher und Kiesel kennt. Geckos rennen über die heißen Steine und die Kamele passen hier irgendwie auch besser hin als in manche Steppenregion der Mongolei. Erst wenige hundert Meter vor dem Ufer des Sees ist etwas vom nahen Wasser zu fühlen, ein leichter Wind bringt den Geruch von Algen und brackigem Wasser in die Wüste, es erinnert an Meeresluft.

 
Die Ufer am östlichen Ende sind flach, von Schilf und Schlamm gesäumt, kein Ort zum Baden, aber dort wo das Wasser bereits etwa einen Meter tief ist lockt die Badelust. Nach einigen Kilometern wechseln die extrem flachen Uferzonen mit steileren kiesigen Abschnitten, aber kein einziges grünes Fleckchen am Ufer verspricht Platz für die Zelte, nur Kies, Sand und Felsen. Irgendwo tritt dann eine kleine Quelle in Ufernähe zu Tage, ein kleiner Sumpf hat sich gebildet mit saftiger grüner Wiese und an dessen trockeneren Rändern kann man gerade so eine handvoll Zelte aufrichten, der ideale Ort zum Übernachten, wenn da nicht die Kuhfladen wären. Eigentlich sind das ja in der Mongolei Brennstofftabletten, aber hier scheint, zumindest zu dieser Zeit, niemand Interesse daran zu haben. So müssen erstmal vielleicht hundert der trockenen Fladen ins Hinterland befördert werden. Die Mühe lohnt sich, denn der Platz scheint ideal. Das kiesige Ufer fällt relativ steil ab, so dass man schnell im eigentlich glasklaren Wasser schwimmen kann. Das Wasser ist warm im Juli, mindestens 22 Grad, kaum vorstellbar, das hier in ein paar Monaten Temperaturen um die minus 30 Grad herrschen werden.


Unweit der Stelle haben Viehzüchter ihr Sommerlager, sie nutzen die Quelle für frisches Wasser, denn das Vieh kann zwar das schwach salzige Wasser des Sees vertragen, für die Menschen ist das aber nichts. Sie erzählen von Fischen, etwa armlang, die sie im See fangen, ja wenn man jetzt ein Boot dabei hätte, denn an das relativ flache Ufer kommen die nicht.

Erst nach dem Sonnenuntergang werden die Temperaturen erträglicher, aber bitter kalt, wie man oft von Wüsten behauptet wird es hier mit Sicherheit nicht, die Temperatur sinkt auch bis zum Morgen nicht unter 20 Grad und kaum ist die Sonne am fast wolkenlosen Himmel, zeigt das Thermometer schon wieder über 30 Grad. In der Ferne kann man die Turgenkette erkennen, der Beginn des Altai. Einzig diese 4000 Meter hohen Gipfel sind von dichten Wolken umgeben. Sie vermitteln eine Ahnung von dem, was in den nächsten Tagen kommen wird, ein Temperatursprung wie er kaum extremer sein kann.

Der Weg bis zur Turgenkette ist nicht weit aber wie überall in der Mongolei beschwerlich. In wenigen Kilometern hat sich die Wüstenvegetation aus dürren Sträuchern in eine Steppe aus Gräsern verwandelt, allerdings bemerkt man den Unterschied nur beim aufmerksamen Beobachten, denn die Steppegräser sind allesamt verdorrt und geben somit auch nur noch ein graubraunes Bild.

Kaum 60 Kilometer liegen zwischen dem Ufer des Khyargas nuur und dem ersten Anstieg des Altai, zwei völlig verschiedenen Welten. Schon am ersten Pass ist eine Verwandlung eingetreten, der Blick in eine weite unendlich grüne Bergwelt wird frei, Bäche und Flüsse bieten Yakherden Wasser im Überfluss, wo vor wenigen Kilometern noch ein Rinnsal die Lebensgrundlage für hunderte Schafe und Ziegen sichern musste, ist frisches Wasser hier weder für Mensch noch Tier ein Mangel. Noch extremer wird das Bild am nächsten Pass, der den Blick frei gibt auf die zahlreichen weißen Gipfel der geheimnisvollen Gebirgskette.

Dauerfrostboden, Sümpfe und Felsspitzen, die aus der dünnen Bodenschicht herausragen machen das Weiterkommen schwierig, die Leistung der ohnehin nicht übermotorisierten Maschine des UAS sinkt in Höhen zwischen 2500 und 3000 Metern auch merklich ab. Wer jetzt nicht schnell genug an sein Gepäck kommt fröstelt, barfuss und mit T-Shirt, bei Temperaturen von kaum noch 10 Grad, Novemberwetter in Deutschland.

Die Autos quälen sich bis zur letzten Jurte am Rande der Hochebene, hier in knapp dreitausend Meter Höhe endet das grün der Almen und geht über in den Schotter der steilen Bergflanken. Futter und Wasser findet das zahlreiche Vieh hier im kurzen Sommer im Überfluss, aber die Temperaturen können bitterlich werden. Es ist auch nicht leicht, im weitgehend sumpfigen Gelände einen geeigneten Zeltplatz zu finden, der auch noch bei plötzlichen Regengüssen sicher ist. Die Nacht wird kalt, saukalt, zu den minus vier Grad kommt eine hohe Luftfeuchtigkeit, vor der man in der Mongolei sonst eigentlich sicher ist. Erst die Morgensonne hilft ab und nicht nur das Vieh versucht möglichst viel davon erhaschen.

    

Das Wetter für eine Gipfelbesteigung scheint günstig, nur wenige Wolken umgeben das Massiv, der Blick auf die zahlreichen kleinen und großen Gletscher der Bergkette ist frei. Während sich manche der Gletscher erstaunlich weit in die Täler ziehen, sind es bis zur weißen Firnschneekappe des Hauptgipfels hier in der südlichen Kette des geteilten Gebirges, noch mindestens achthundert Höhenmeter. Hänge mit unterschiedlich großem Blockschotter bilden den Weg zwischen den Gletschern. Mal sind die Steine locker und nur faustgroß, meist aber stapeln sich scharfkantige mannshohe Blöcke. Das Gebirge ist hier extremer Bewitterung ausgesetzt, tagsüber kann die Sonne die Luft selbst hier, auf der Hälfte zwischen drei und viertausend Meter Höhe, bis über zwanzig Grad erwärmen. Nach dem Sonnenuntergang rast das Thermometer im Eilzugtempo in den Keller bis es vielleicht bei zehn Grad unter Null stehen bleibt. Fast stündlich wechselt Sonne mit Regen, auf längere Schönwetterperioden braucht man hier nicht zu hoffen, an der Schnittstelle zwischen sibirischer Taiga und zentralasiatischer Wüste.

                                                        Vergrößern                                                         Vergrößern                                                      Vergößern                                                                                                                                                                                                                                  Drei, vier Stunden im Blockschotter zerren an den Nerven, jeder Schritt ein Balanceakt auf klapperndem Gestein, da wirkt die Schneedecke in Gipfelnähe wie eine Erlösung. Weit über den schmutzigweißen Gletscherzungen liegt ein, die flache Kuppe des Gipfels bedeckendes, festes Schneefeld, fast ideale Bedingungen, wäre nicht das Wetter, denn die Sonne des Vormittages ist schon Wolken gewichen, die von Westen gegen das Gebirge schieben.

Auf der gegenüberliegen Seite des hier geteilten Gebirges brechen Eismassen von einem fast senkrecht hängenden Gletscher und donnern ins Tal, hier hat die Vormittagssonne ganze Arbeit geleistet. Auf der diesseitigen Kuppe liegt das Schneefeld aber flach und sicher und mit zunehmender Höhe wird das Steigen eher zum Laufen. Es ist am Ende kaum noch auszumachen, wo es eigentlich nach oben geht, so flach wird die Bergspitze. Die Sicht ist schon eingeschränkt und das Wetter rät zum Abstieg, hier wo die viertausend Meter angekratzt sind sollte man die Natur entscheiden lassen und die sagt eindeutig Ende und Abstieg. Wieder vier Stunden Geröll und Schotter, aber diesmal schon mit düsteren Wolken im Rücken fordern noch einmal, bis die Hochebene erreicht ist, das laufen auf weichem Gras scheint dann fast wie eine Kneippkur, auch wenn es manchmal nur eine dünne Grasnarbe ist, die auf einem sumpfigen Loch schwimmt, typische Hochgebirgstundra eben, wie man sie oft antrifft, im mongolischen Altai und Changai.

Die Zelte am Lagerplatz umgibt der Geruch von brennendem Kuhdung und gesottenem Schafffleisch, Chorchog, Schaf in der Milchkanne, ist von den mongolische Begleitern zubereitet worden. Die Viehzüchterfamilie einer der Jurten auf der Hochebene hat ein Schaf aus ihrer über tausend Stück zählenden Herde verkauft. In weniger als zwei Stunden ist das Tier dann vollständig zerlegt worden und geeignete Teile haben zusammen mit Zwiebeln, Möhren, ein paar Kartoffeln und heißen Flusssteinen in eine 40 Liter Alu-Milchkanne gestopft, etwa eine Stunde gegart. Das Ergebnis ist ein Zwischending zwischen Gekocht und Gebraten und die vielleicht schmackhafteste Art der Zubereitung für Schafffleisch. Die ehemaligen Besitzer des Tieres haben bei der Prozedur selbst mitgeholfen und auch dafür gesorgt, dass nichts in der Kanne übrig blieb. In dieser Jahreszeit, mitten im Sommer ist auch für sie Fleisch eine Ausnahme. Geschlachtet wird eigentlich erst im Herbst, der Sommer ist die Zeit der weißen Speisen, der Milchprodukte. Hergestellt wird dabei alles mögliche, Joghurt, zahllose Käsesorten, Sahne, Butter und natürlich Airag, vergorene Stutenmilch. Höhepunkt der Milchprodukte Skala ist allerdings der Milchschnaps Archi, destilliertes Ergebnis einer Joghurtgärung. Für Mongolen sicher ein Grund zum Feiern, aber die Deutschen ziehen das russische Bier in zwei Liter PET Flaschen dem mongolischen Naturprodukt vor. Besser noch ist aber bei den wieder zu erwartenden Nachttemperaturen industrieller Archi, der mit dem Milchschnaps nur den Namen gemeinsam hat, denn das ist ein gewöhnlich- und bekömmlicher Getreidekorn.

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In der Nacht sind die Wolken über das Gebirge gezogen und hüllen die Gipfel jetzt tief von allen Seiten ein. Es ist Zeit diese Höhe zu verlassen und in wärmere Regionen zu reisen. Am Fuße der Gebirgskette ist ein solcher Ort, dort bricht der Gletscherfluss Charchira in einem engen Tal durch die Gebirgskette. Die Bergflanken ragen hier mehr als zweitausend Meter über den Fluss, der sich von da ab in die Ebene der Wüstensteppe ergießt. Das Wasser tost in seinem engen Bett und stellt ein kaum überwindbares Hindernis dar. Mittlerweile haben die Unwetterwolken auf ihrem Weg über das Gebirge auch diesen Ort erreicht und eingezwängt in das enge Tal tobt sich ein richtig mongolisches Gewitter aus. Tage später wird bekannt, dass unweit eine Jurte mit ihren Bewohnern dem Unwetter zum Opfer gefallen ist. Unwetter kommen und gehen plötzlich in diesem Land und so scheint am Abend schon wieder die Sonne. Sie lässt die schroffen Konturen der Bergwelt noch deutlicher erscheinen, Licht und Schatten falten das Gebirge ein zweites mal. Die nach Norden geneigten Hänge zeigen hier schon in geschützten Lagen einen fast geschlossenen Nadelwald, die südlichen Bergflanken geben außer Schutt und Geröll nur Wüstensträuchern eine Chance, ein Bild, typisch für die Gebirge der Mongolei. In der Stille der Nacht ist immer wieder zu hören, wie Geröll zu Tal poltert, in der Mongolei scheinen sogar die Steine Leben zu besitzen.

Eigentlich sind es von der Turgenkette zum Uws See nur weniger als fünfzig Kilometer, aber ein direkter Weg ist nicht so einfach möglich, der Gletscherfluss bildet, nachdem er das Gebirge verlassen, hat ein kaum überschaubares Delta unzählige Rinnen und Flussarme, sumpfige Tümpel und Geröllflächen zwingen zu langen Umwegen.

Die Hauptstraße, so der mongolische Begriff für Pisten oder einfach nur Fahrspuren, die häufiger befahren werden, geht über Ulaangom, das Bezirkszentrum der Region Uws.

Selbst die Hauptstraße ist jedoch kein sicher Weg. Ein Flusslauf hat schon vor Zeiten eine kleine Brücke samt dem geschütteten Erddamm weggerissen. Eine Furt ist nicht eindeutig erkennbar, aber klar ist, dass es ein UAS schaffen kann, denn immerhin ist das eine Hauptstraße und täglich passieren solche Fahrzeuge die Stelle. Beim Durchlaufen des reißenden Wassers zeigt sich an der vermeintlich günstigen Stelle aber eine tiefe Rinne im Flussgrund. Etwas Ungeduld, ein Missverständnis beim Zeichen geben und schon setzt das erste Fahrzeug genau dort zum Queren an. Mit zwei hakeligen Sprüngen schafft er es auch die Rinne zu überwinden, aber das Wasser war bereits zu tief, der Moment hat ausgereicht, die Elektrik außer Betrieb zu setzen, der Wagen bleibt im Wasser stehen. Das Bild löst Belustigung aus, bei einem vorbeikommenden UAS. Beladen mit zwölf Insassen fährt er, die Furt kennend, souverän im Zick Zack durch das tückische Gewässer. Nach ein paar Minuten ist das Fahrzeug dann erst mal ins Trockene gehievt und der Weg frei, nach Ulaangom.

Als Siedlung besteht der Ort, der seinen Namen den roten Felsen der Umgebung verdankt, schon länger als die meisten der anderen Zentren, aber zu merken ist davon nichts. Es fällt aber sofort auf, dass überall auf der Straße Stromaggregate tuckern, kein gutes Zeichen. Eigentlich hängt Ulaangom am russischen Stromnetz, aber die Verwaltung hat wieder mal die Rechnung nicht beglichen und da hat der nördliche Nachbar abgestellt. Nun könnte das dem Durchreisenden relativ egal sein, aber das bedeutet auch, dass der Bäckereibetrieb nicht arbeitet und damit in der ganzen Stadt kein Brot zu finden ist. Die letzte Station, wo Brot zu kaufen war liegt schon 8 Tage zurück und vom kostbaren Gut in den Kisten ist nichts mehr übrig geblieben. Es taucht das Gerücht auf, dass es ein paar Privatleute gibt, die selbst Brote backen. Die Suche gestaltet sich schwierig aber am Stadtrand ist dann endlich eine Bude gefunden in der kleine, jedoch nicht sonderlich schmackhafte Brotlaibe angeboten werden. Die Situation scheint bezeichnend für den Gesamtzustand des Ortes, 1500 Kilometer vom boomenden Ulaanbaatar entfernt regiert nur noch die Gleichgültigkeit. Hier ist in den letzten fünfzehn Jahren praktisch nichts passiert, abgesehen von ein paar bunten Werbeplakaten. In den Industriebrachen schachern heute Händler mit vornehmlich chinesischen und russischen Waren und an der gegenüberliegenden Kaserne beschwört ein Plakat die mongolisch-russische Freundschaft, sicher hatten das die Russen auch so gesehen, als sie den Strom abgedreht haben. Ulaangom war schon immer eine russisch geprägte Stadt, kaum achtzig Kilometer von der Grenze, aber jetzt scheint man hier noch schlimmer getroffen als anderswo im Lande, man nutzt die neu gewonnenen Freiheiten offensichtlich kaum.

Am Stadtrand sperrt eine Schranke den Weg. Im improvisierten Häuschen dahinter hockt ein alter Mann der die Frage nach dem Wohin eigentlich nur dafür missbraucht, eine alte Bekannte, die neben dem Häuschen wartet, in einem der ausfahrenden Autos zu platzieren. Nach wenigen Kilometern, die Stadt ist gerade hinter einem Höhenrücken verschwunden, verdunkelt sich der Tag, ein Stoß Wolken hat den Turgen überschritten und schiebt sich jetzt als schwarze Wand zum Uws Nuur. Binnen weniger Minuten fällt soviel Niederschlag, dass sich die Erosionsrinnen im Steppenboden mit einer gurgelnden braunen Brühe füllen. Kleine Flüsse entstehen, die dann irgendwo die zahlreichen Sümpfe am Westufer des Sees nähren. Die werden dann auch eine Falle auf der Suche nach einem direkten Weg zum Seeufer, kaum einen Kilometer vom Ufer entfernt ist Schluss und es hilft nur zurückzukehren, zwanzig, dreißig Kilometer Umweg und eine Erfahrung reicher, denn wenn in der Mongolei Pisten und Fahrspuren einen Bogen machen, dann hat das meist einen handfesten Grund, man kann sich zwar mit Karte und GPS sehr gut orientieren, aber auf der Abkürzung lauert oft ein unüberwindbares Hindernis.

                                                                                                                              

Der Uws Nuur ist der größte aller mongolischen Seen, fast 80 Kilometer im Durchmesser und im Nordosten liegt er sogar ein paar Quadratkilometer auf russischem Gebiet. Von drei Seiten umrahmen ihn Hochgebirge und am Ufer wechseln dichte Schilfgürtel mit fauligem Schlamm und regelrechten Sandstränden, die zu finden ist allerdings nicht ganz einfach. Wer die gefunden hat, kann sich dann aber an einem Meer wähnen. Wellen, Möwen und ein leicht salziges Wasser, dazu ideale Zeltplätze in kleinen Dünen, nur mitbringen muss man sich alles, denn Imbissbuden, Eisstände, und Hotels wird es hier auch in Zukunft kaum geben. Selbst nomadisierende Viehzüchter sind an den Ufern des Sees selten zu finden. Mongolen meiden im Allgemeinen die salzigen Gewässer. Vielleicht sind es die Unmengen von Insekten, die an einigen Stellen in bedrohlichen Schwärmen umherschwirren, vielleicht auch die Sümpfe, in denen Mensch und Tier verschwinden können, Tatsache ist jedenfalls, das nahezu keiner der Mongolen auf dem Lande schwimmen kann.


Beim Feuerholz sammeln, am Ufer des Sees, fällt der Blick immer wieder auf tote Möwen, ungewöhnlich in einer Gegend wo große Raubvögel eigentlich alles erbeuten, was irgendwie schwächelt. Erst zwei Wochen später wird klar sein, die Vogelgrippe hat nicht nur den Erchel Nuur in der Nordmongolei erfasst, wie die Medien melden, auch der Uws Nuur war betroffen. Hier ist das Ereignis jedoch niemandem aufgefallen, keine Piste läuft nahe genug am See vorbei und die Gegend ist, wie gesagt, fast menschenleer.

Sonnenuntergänge in der Steppe sind oft beeindruckend, aber am Uws Nuur sind sie geradezu spektakulär, wenn das Rot über dem nahen Altai steht, Sonnenaufgänge dagegen sind selten, denn der See liefert am Morgen oft Nebel, die dann als Wolken ins Land ziehen.

Am Ostufer des kleinen Meeres beginnt ein wegloses Sanddünengebiet, der Borog Els. Über einhundert Kilometer lang und bis zu vierzig Kilometer breit liegt der Sand unterbrochen von Felsspitzen und zwei größeren Seen. Da die Niederschläge hier schon häufiger fallen schaffen es auch einzelne Pflanzen einen Standort zu finden, aber Sand bleibt eben Sand und so wird es für die Autos zur Tortur den einzigen für Fahrzeuge geeigneten Weg bis zum Bajan Nuur, einem der beiden Seen, zu bewältigen. Der See wird ausschließlich von Quellen gespeist, die in den Sanddünen ihren Ursprung haben. Vor kurzem ist Regen gefallen und somit ist der Sand etwas stabiler für die Fahrzeuge, um die Rückfahrt am nächsten Tag nicht zu gefährden muss bereits am Morgen aufgebrochen werden, ehe die Mittagssonne das gleichkörnige Mineral wieder ein trockenes, haltloses Gemenge verwandelt in dem der russische UAS kein besonders gutes Bild macht, die Räder sind zu schmal, der Reifendruck zu hoch und so hilft nur Geschwindigkeit über besonders tückische Stellen hinweg.

Die Weiterfahrt in Richtung Osten, am unmittelbaren Rand des Sandgebietes dagegen ist relativ einfach, eine Fahrspur auf festem Grund immer in Sichtweite zu den Dünen, so unkompliziert geht es selten in der Mongolei.

Vereinzelt tauchen schon kleine Kiefern auf, die sich in den Sanddünen festgesetzt haben, das Ende der Dünenkette ist erreicht und plötzlich ist auch schon erster Wald zu erkennen. Eine wilde, zerklüftete Berglandschaft, der erste Fluss und große Vieherden, wo eben noch Sand und Wüstensteppe vorherrschten. Hier, kaum 30 Kilometer von der russischen Grenze, beginnt sich die sibirische Taiga durchzusetzen und man verlässt die Region Uws, vielleicht die schönste und spektakulärste Landschaft der Mongolei, mit Sicherheit aber ihre abwechslungsreichste.


Jens Geu,  Sommer 2005