Reiseberichte aus der Mongolei Jens Geu

Eine deutsche Reiterattacke am Khuvsgul


Um auf die Idee zu kommen, in der Mongolei eine Tour mit Pferden zu unternehmen, gibt es vorrangig zwei Gründe: Der erste und naheliegende ist ganz einfach, dass man gern reitet und man dieses Hobby mal so richtig ausgiebig praktizieren möchte. Der zweite Grund liegt tiefer und zählt hauptsächlich für diejenigen, die bereits die Mongolei kennen gelernt haben. Es ist die Erkenntnis, dass das Reiten als Fortbewegungsart so gut wie keine andere in dieses Land, in diese Landschaften passt. Auf keine andere Art erfährt man mongolische Urnatur so eindrucksvoll wie im Pferdesattel. Umgedreht dürfte für jeden Deutschen, der hin und wieder reitet, dieses Vergnügen in keiner anderen Region so authentisch erscheinen wie in den Gebirgswaldsteppen der Mongolei. Für mich war das letztere der Grund für die folgende Reise, für meine fünf deutschen Mitreisenden eher die Tatsache, hier genügend Zeit für ihr Hobby, dem Reiten, zu haben. Um eine Reiterreise in der Mongolei zum vollen Erfolg werden zu lassen, ist die Auswahl einer guten Route sehr wichtig. Im Gegensatz zum Geländewagen kann man zu Pferd am Tag nur etwa 30 Kilometer zurücklegen, um dennoch einen Eindruck von der Vielfältigkeit der mongolischen Landschaft zu bekommen, muss man die Tour in einer Region durchführen, in der die Landschaftsformen auf engen Raum häufig wechseln. Einer dieser Orte, die diesem Anspruch voll gerecht werden, ist die Region um den Khuvsgul See, die wir uns ausgewählt haben. Hier hat man die Möglichkeit trockene Steppentäler, Salzseen, die Taiga, felsige Hochgebirge und natürlich den kleinen Baikal, den Khuvsgul See, zu erleben.

Der Flug von Ulaanbaatar nach Murun, dem Zentrum des Khuvsgul Bezirkes, vermittelt eigentlich schon viel, von dem Lebensgefühl in der größten noch existierenden Steppenlandschaft der Erde. Kein Vergleich mit der Anreise im Airbus von Berlin nach Ulaanbaatar, in dem sich Geschäftsleute, Entwicklungshilfebürokraten aus aller Welt und europäisch denkende Mongolen aus der Hauptstadt neun Stunden die Zeit vertreiben mit Gesprächen über Dinge, die für meisten Steppenbewohner keine Rolle spielen. Hier in der alten Antonow auf ihrem vielleicht zig-tausendsten Inlandflug zählt nur die Tatsache, eine Distanz zu überwinden, die auf dem Landweg mit mehrtägigen Strapazen zu bewältigen wäre. So murrt auch keiner, dass der Flug Stunde um Stunde verschoben wird, da das Wetter für das alte Flugzeug ein erhebliches Problem darstellen kann und keiner nimmt Anstoß daran, dass eigentlich am Ende mehr Passagiere im Rumpf sitzen, als Sitzplätze vorhanden sind, warum auch, in der Transportvariante desselben Typs, die auch hin und wieder eingesetzt wird, gibt es bis auf eine Holzbank gar keine Sitzplätze. Die Sicht auf dem 700 Kilometer Flug ist gut und die wenigen Ausländer im Flugzeug können kaum fassen, dass man aus 6000 Metern Höhe von Horizont zu Horizont nichts als unberührte Steppenlandschaft sieht.

Die Landung in Murun bietet für mongolische Verhältnisse wenig Spektakuläres, da hier nicht wie allgemein üblich die Maschine auf dem Steppenboden aufsetzt, sondern eine Betonpiste für eine komfortable Landung sorgt. Bereits aus der Vogelperspektive kann man feststellen, dass sich Murun in den letzten Jahren nur wenig verändert hat. Die Stadt oder Siedlung teilt das Schicksal der meisten mongolischen Bezirkszentren. Mit Wegfall der Planwirtschaft und der staatlich subventionierten Maßnahmen versinken diese Orte in eine traurige Bedeutungslosigkeit. Heute zählt nur die Aussicht auf wirtschaftliche Gewinne, und die sind hier, 800 Kilometer von der Hauptstadt,400 Kilometer von der Eisenbahn und Abseits der großen Goldvorkommen, nicht realisierbar. Praktisch stagniert die Entwicklung des Ortes vollkommen, bis auf ein kleines Hotel und einige Tankstellen ist kein einziges neues Gebäude in den vergangen zehn Jahren entstanden. Marktwirtschaft funktioniert eben nur dort, wo der Markt auch wirklich da ist.
                                                                                         

Alles das sind Gründe, den Ort so schnell als möglich zu verlassen, was für uns kein Problem darstellt, da unsere Reise schon Monate vorher vorbereitet wurde und jetzt auch wirklich alles bereit steht. Mit zunächst drei Geländewagen fahren wir knapp 20 Kilometer in nördliche Richtung, wo unsere Pferde auf uns warten sollen. Im Licht der Abendsonne sehen wir dann auch bald unsere kleine Herde aus insgesamt zehn Pferden und keiner will mehr lange warten um endlich auf "seinem" Pferd aufsitzen zu können. Es dauert nur Minuten bis sich die ersten sind steppenfein gemacht und gesattelt haben. Sicherlich war der eine oder andere bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht sicher ob er denn wirklich auf einem mongolischen Pferd durch die Steppen reiten würde. Keiner meiner Mitreisenden hat bisher eine ähnliche Tour unternommen und das was der eine oder andere bisher von Mongolei zu wissen dachte, hat möglicherweise die Zweifel an dem Unternehmen nicht ganz ausgeräumt. Jetzt ist es aber absolute Realität und keiner Zweifelt mehr, dass die Tour planmäßig verlaufen kann. Warum auch, die Pferde sind in einem guten Zustand, die beiden Begleitfahrzeuge machen ebenfalls diesen Eindruck und die Verpflegungskisten sind randvoll. Jetzt liegt eigentlich alles nur bei uns, die Reise zum Erfolg werden zu lassen.

Wir legen mit den Fahrzeugen noch ungefähr 10 Kilometer Strecke vor und beginnen vor Ankunft der Reiter die Zelte aufzubauen. In der Dämmerung erreichen die dann auch das Lager und man kann eine deutliche Veränderung in den Gesichtern feststellen, die Anspannung der letzten Tage ist geschwunden und die Stimmung ist blendend, zumal das Lagerfeuer aus Kuhdung bereits brennt und Weinflaschen und Bierdosen die Runde machen. Der erste Abend am Feuer wird standesgemäß lang und lustig. Günstig ist auch, dass das Verhältnis der Nationalitäten ziemlich ausgeglichen ist, insgesamt gehören nämlich zu unserer Reisegesellschaft sechs Deutsche und sieben Mongolen.

Für meine deutschen Mitreisenden wird das die erste Nacht, die sie in freier Steppe, abseits jeglicher Siedlungen verbringen dürfen, aber auch wohl das erste mal, zumindest seit Jahren, das ein Zelt und eine Isomatte für Schlafkomfort sorgen müssen. Am nächsten Morgen sind auch alle erstaunlich früh auf und drängen zu den Pferden und nach einer Frühstückssuppe setzt sich der Reitertrupp in Richtung Norden in Bewegung. Zur Mittagszeit haben wir uns an einem etwa 20 Kilometer entfernten Salzsee verabredet. Zunächst muss aber das Lager wieder abgebaut und alle Spuren in der Landschaft beseitigt werden. Diese Arbeit dauert gut zwei Stunden und wird uns jeden Tag beschäftigen.


Als die Mittagssonne die Luft in der Steppe flimmern lässt, erreichen wir fast zeitgleich mit den Reitern den Salzsee. Er misst einige Kilometer im Durchmesser und ist umgeben von fast vegetationslosen Bergen, deren Gestein in den unterschiedlichsten Farben schimmert. Es weht ein leichter Wind und der See bildet Wellen, die gegen den Sandstrand schlagen. Die salzige Luft, der Wind und das leichte Wellenrauschen erwecken beim mittäglichen Dahindösen unweigerlich den Eindruck am Meer zu liegen, wir befinden und aber hier an einem der meeresfernsten Orte der Welt. Die echte Meeresküste ist reichlich zweieinhalbtausend Kilometer entfernt.

Unweit des Seeufers weiden etwa ein Dutzend Kamele, deren Höcker steil aufgerichtet signalisieren, dass einige Wochen fetter Kost hinter ihnen liegen. Nur etwa fünfzehn Kilometer weiter errichten wir unser zweites Lager, an dem ersten mit Lärchen bewaldeten Berghang während die Reitertruppe noch durch das weite Wüstensteppental zieht. Allein schon in dieser Hinsicht stellt die Mongolei ein Naturwunder dar, denn hier existieren deutlich ausgebildete unterschiedliche Naturräume nahezu nebeneinander oder sie bilden einmalige gemischte Formen. So entscheidet hier allein die Ausrichtung eines Berghanges nach Norden oder Süden über die Tatsache, ob die Vegetation aus wüstenhaften Sträuchern auf nacktem Gestein oder
aus Lärchenwald mit Moosen und Pilzen besteht. Die Position zur Sonne, die hier mit unerbittlicher Kraft nahezu das ganze Jahr einstrahlt, im Zusammenhang mit den insgesamt extremen klimatischen Bedingungen und der Bodenstruktur, die kaum natürlich Wasser speichern kann, sorgt dafür, dass diese einmaligen Formen entstehen.

Als die Zelte gerade stehen verdunkelt sich der Himmel und für vielleicht zehn Minuten tobt ein bedenklicher Sturm. Natürlich muss man in der mongolischen Steppe immer mit plötzlichen Naturereignissen rechnen, aber dass ist schon etwas verwunderlich, denn vor sieben Jahren hat mich genau an dieser Stelle ein plötzlicher gewaltiger Hagelschlag überrascht wie ich ihn nachdem nie wieder erlebt habe. In solchen Situationen wird einem klar, dass ein gewisser Aberglaube einfach zu dieser Urnatur dazu gehört. Ich bin überzeugt, nach ein paar Wochen wird selbst der abgebrühteste Europäer heimlich davon befallen sein.


Die Etappe des nächsten Tages ist gekennzeichnet von Sonne und blauem Himmel ohne Ende. Die Temperatur steigt unaufhörlich und gegen Mittag haben wir nach dem Abbau des Lagers mit den Geländefahrzeugen die Reitertruppe wieder erreicht. Über Funk haben die uns mitgeteilt, dass sie an einer Gaststätte Rast machen. Da es aber im Umkreis von mindestens 80 Kilometern nichts geben kann, was einer Gasstätte auch nur ähnelt, bin ich absolut stutzig. In Wirklichkeit handelt es sich dann auch um den Gemischtwarenladen der einzigsten Siedlung auf dem Weg zwischen Murun und dem Khuvsgul See. Das Örtchen besteht, wie alle Siedlungen im Norden der Mongolei, aus einer Ansammlung von Holzhäusern und einigen nunmehr verfallenen größeren Steingebäuden, die bis zur politischen Wende die Schule, Behörden oder kleinere Staatsbetriebe beherbergten. Seit der nunmehr streng marktwirtschaftlich orientierte Staat keine Heizenergie mehr kostenlos aus den kleinen örtlichen Heizwerken zur Verfügung stellt, sind solche Gebäude nicht mehr nutzbar und man hat ihrerseits Nutzen aus den Gebäuden gezogen, indem man alles brennbare der ehemals volkseigenen Gebäude verfeuert hat.

Der Laden, vor dem unsere Mitstreiter ihre Pferde angebunden haben, liegt im Zentrum der Siedlung, wo sich auch schon ein Grossteil der anwesenden Bevölkerung versammelt hat. Das Sortiment umfasst wie üblich wenig nützliche Dinge, dafür aber mindestens fünf Sorten Bier. Unsere Reiter haben sich für ein russisches Flaschenbier entschieden, das nach näherem Hinsehen einen Alkoholgehalt von 10,5 Prozent vorgibt. Der ist aber mit Sicherheit auch drin. Spontan entwickelt sich vor dem Laden Partystimmung und einige Dutzend Polaroid Fotos werden für die anwesenden und ebenfalls sehr belustigten Dorfbewohner geschossen.

Es dauert eine ganze Weile, ehe sich Reiter und Fahrzeuge wieder in Bewegung setzen. Das ist aber auch gerade das Schöne an einer solchen Art Reise, es gibt keinen festen Zeitplan und da wir alles was wir benötigen bei uns führen und die Mongolei ein einziger riesiger Zeltplatz ist, spielt es praktisch keine große Rolle, wo man am Abend sein Lager errichtet. So werden die Plätze auch immer erst vor Ort ausgewählt und diesmal ergibt sich die Möglichkeit unmittelbar an einem glasklaren Fluss unterhalb einiger Felsklippen zu lagern. Das schnellfließende Wasser hat sich auf Grund der geringen Tiefe in der Hitze des Tages doch auf etwa 20 Grad erwärmt und das abendliche Bad wird ein allgemeiner Hochgenuss. Abgestorbenes Holz ist auch in Hülle und Fülle vorhanden und somit ist es keine Frage, dass wir noch lange am Lagerfeuer sitzen. Als kulinarischen Höhepunkt bereiten wir eine Geflügelsuppe mit frischer Wildgans zu. Das Tierchen hat uns der Zufall oder besser ein Adler geschenkt, der hatte die Gans praktisch vor unseren Augen geschlagen. Wir waren aber sofort mit den Pferden zur Stelle und der Adler ließ von seiner Beute ab. Somit bot sich für uns die Möglichkeit auf eine Delikatesse.

                                                                            

Am darauffolgenden Tag passieren wir die Grenze zum Nationalpark Khuvsgul See. Eine Schranke und ein berittener Posten sorgen dafür, dass jeder auch seine Parkgebühr entrichtet. Die ist auch durchaus angemessen und gerechtfertigt, schwerwiegender sind jedoch die Regeln der Parkordnung, die von da an gelten sollen. So ist das Betreten offiziell nur mit einem Führer gestattet. Wir haben zwar keinen solchen, aber mit uns reist auch eine Mitarbeiterin in der Bezirksverwaltung aus Murun und die wird, ob ihrer Dienstellung in einer mongolischen Behörde, einem Führer gleichgestellt. Auch gelingt es uns nach längeren Verhandlungen eine pauschale Genehmigung für das ansonsten verbotene Lagerfeuer zu erhalten. Solche Privilegien wären normalerweise für alleinreisende Ausländer undenkbar, aber wir gelten auf Grund unserer Überzahl an Mongolen in der Reisegruppe wohl als Inländer. Wie bei solchen Anlässen üblich macht zum Abschied noch eine Flasche Wodka die Runde und wir bekommen die besten Wünsche für unsere Reise mit auf den Weg. 

              

Vom Kontrollpunkt sind es noch etwa 10 Kilometer bis zum Südufer des Khuvsgul Sees die fast durchgängig im Galopp genommen werden. Zu solchen Gelegenheiten treibt Ölzij, der Sohn des Eigentümers unserer Pferde, die ganze Truppe zur Höchstgeschwindigkeit. Auf den Ruf "Attacke!" zeigt uns der waschechte Nomadenjunge immer wieder, was eigentlich Galopp heißt. Am Seeufer wenden wir uns nach Osten denn wir haben uns vorgenommen an diesem Ufer nach Norden vorzustoßen. Die Ostseite des Sees ist zwar nicht so gebirgig wie die Westseite aber von hier kann man immer das Panorama des Sees mit dem dahinterliegenden Hochgebirge bewundern. Auf der Suche nach einem möglichst schön gelegenen Übernachtungsplatz verfahren wir uns mit dem vorausfahrenden Geländewagen in einem Sumpf und da der zweite Wagen zusammen mit den Reitern außerhalb der Reichweite der Funkgeräte ist versuchen wir aus eigener Kraft wieder freizukommen. Das gelingt auch nach einer Weile, allerdings ist danach ein Kleiderwechsel erforderlich, denn dicker Schlamm klebt überall. Der Platz, den wir dann erreichen, übersteigt aber alle Erwartungen. Der lichte Lärchenwald reicht bis an das Seeufer, dessen Steinsaum in der Sonne weiß leuchtet, ebenso wie die bizarren Baumstämme und Wurzeln die schon ewige Zeiten hier Wasser und Sonne ausgesetzt sind. Das Lagerfeuer wird natürlich direkt am Strand entzündet und da es an Holz nicht mangelt entwickelt sich bald soviel Hitze, dass die Steine im Umkreis bald wohlige Bodenwärme spenden. Neben dem mittlerweile sehr beliebten Bier aus zweieinhalb Liter Plasteflaschen gibt es heute auch mongolischen Milchschnaps, ein Destillat aus vergorenem Joghurt, der jedoch erwartungsgemäß bei den Deutschen auf wenig Gegenliebe stößt.

                               

Am nächsten Morgen wagen einige ein Bad im superreinem Wasser des Sees. Etwa 16 Grad sind zwar nicht das Mittelmeer aber durchaus ertragbar. Da der Platz so ausgesprochen schön ist beschließen wir mehrheitlich hier einen Ruhetag einzulegen. Eine Hälfte des Teams geht Pilze sammeln, die anderen versuchen im See zu angeln. Es ist allerdings von vornherein klar, wer erfolgreicher sein wird, denn Pilze gibt es in der Taiga wie Kuhdung in der Steppe, aber Fische kommen am Khuvsgul nur selten ans Ufer. Eine dritte Gruppe fährt mit den Geländewagen vor um den nächsten Lagerplatz ausfindig zu machen. Die nächsten Etappen gehen zum Teil durch sehr dichte Taiga und die Jeeps müssen einen vollkommen anderen Weg wählen, der abseits vom Seeufer nach Norden verläuft, so dass nur über Flussauen, die diesen Weg kreuzen eine Verbindung zum Seeufer möglich ist. Die nach der Kartenlage ermittelte Lagerstelle erweist sich auch für die Fahrzeuge als zugänglich und ist zudem ebenfalls sehr einladend gelegen, so dass die Route für den nächsten Tag klar ist.


Am Morgen empfängt uns zum ersten mal Regen aber der Entschluss steht fest und wir machen uns auf den Weg zur ersten Taiga-Etappe. Die Route durch dichte Hangwälder ist nach GPS genau 24 Kilometer lang, aber das ist natürlich als die Verbindung über eine Gerade zwischen den beiden Punkten zu verstehen. Wie lang der Weg durch die Taiga wirklich werden wird, ist mehr als ungewiss. Auf den ersten Kilometern ist noch ein Pfad erkennbar, der in diese Richtung führt, aber irgendwann verliert dieser sich dann auch. Teilweise wird der Regen auch ziemlich heftig und die sonst so sicheren Pferde treten auf dem nassen Waldboden zwischen zahlreichen liegenden Stämmen und versumpften Löchern sichtlich irritiert. Letztlich stammen sie ja auch nicht aus dieser Gegend und sind in den südlicher gelegenen Steppen zu Hause. Trotz dieser Umstände macht es Spaß, diesen Urwald mit Pferden durchstreifen zu können. Nach einigen Stunden hört dann auch der Regen wieder auf und der blaue mongolische Himmel ist wieder zu sehen, nachdem sich die dichte Taiga gelichtet hat und weite sumpfige Waldwiesen langsam in die trockene Steppe eines breiten Flusstales übergehen. Über dieses Tal werden dann auch die Geländewagen kommen um den Lagerplatz am Ufer des Sees zu
erreichen. Heute sind wir mit den Pferden aber eher da und dösen noch eine ganze Weile auf dem warmen Steppenboden bis die Fahrzeuge mit dem Gepäck eintreffen. Das Lager wird hier gleich für mehrere Tage eingerichtet, da wir von hier aus getrennte Unternehmungen starten wollen.

Da die hohen Gipfel des westlichen Gebirges zwar immer wunderbar zu sehen sind, aber nicht auf der Route liegen bricht ein Teil der Gruppe mit dem Fahrzeug dahin auf, andere hingegen wollen auch diese Zeit lieber zum Reiten nutzen. Die Tour zum westlichen Seeufer führt über selbst für mongolische Verhältnisse schwere Wege. Mit einem Stundenmittel von weniger als zwanzig Kilometern geht es auch weite Strecke durch das steinige
Flussbett eines Trockenflusses, dessen breite erahnen lässt, welche Wassermassen hier bei Regenfällen talwärts fluten.

                      

Als wir den Pass erreichen, von dem aus wir zu Fuß den nahegelegenen Gipfel erklimmen wollten stellen wir überrascht fest, dass sich eine durchaus brauchbare Piste in Serpentinen bis auf den Gebirgskamm windet. Wie sich später herausstellt haben Geologen in den achtziger Jahren den Weg angelegt um ein Rohstoffvorkommen zu erkunden. Auf dem Kamm ergibt sich noch die Möglichkeit einige Kilometer auf der schmalen Hochebene Richtung Norden zu fahren. Wir nutzen die Möglichkeit um näher an die höheren Gipfel zu gelangen. Am Fuß eines solchen ist dann endgültig Schluss und wir klettern die noch etwa dreihundert Höhenmeter zur Spitze. Von hier ist der 130 Kilometer lange See fast vollständig zu Überblicken und in Richtung Westen gibt sich der Blick frei in die schroffe Bergwelt der unzähligen meist um die 3000 Meter hohen Gipfel des Khuvsgul Gebirges.


Am nördlichen Horizont sind die Umrisse des dreieinhalbtausend Meter hohen Munkh Sardyk zu sehen, dem König dieser Bergwelt, die eigentlich dem sibirischen Sajan zuzurechnen ist. Im Gegensatz zu den meisten anderen Gebirgen in der Mongolei bestimmen hier meist felsige Gipfel, schmale Grate und enge Täler das Bild, eine echte Alpenlandschaft also, aber gänzlich ohne Siedlungen, Bauwerke, Strassen oder Anlagen der Wintersportindustrie. Auch ist die Vegetation, die sich in dem kurzen Sommer auf den Matten einstellt, viel üppiger und noch völlig intakt. Das liegt natürlich daran, dass diese Landschaft nicht tausende von Touristen ertragen muss, aber ganz allein ist man hier natürlich auch nicht mehr. Individualtourismus ist in der Mongolei heute keineswegs mehr, wie die meisten Reiseberichte glauben machen wollen, eine Expedition an die Grenze des Überlebens, sondern ganz normaler Alltag. Nach Auskunft der Nationalparkverwaltung sind allein in diesem Sommer über 500 Ausländer mit Geländewagen, Mountainbikes, Pferden oder auch zu Fuß am Khuvsgul See unterwegs. Allein die Landschaften sind so riesig und die Routenmöglichkeiten so zahlreich, dass man sich einfach nicht begegnet. In den nächsten Tagen findet allerdings eine solche Begegnung doch statt. Wir sind bereits auf dem Rückweg und haben noch mal eine der beiden Siedlungen am Seeufer aufgesucht um frisches Brot und Kaffee zu kaufen, denn gerade der Kaffeeverbrauch war wegen der sächsischen Teilnehmer in unserer Gruppe überdurchschnittlich und ohne Kaffee am Morgen ging überhaupt nichts. Als wir gerade vor dem Häuschen des örtlichen Postamtes die Pferde an den Zaun binden wollen, treffen zwei Schönheiten mit mindestens ebenso bemerkenswerten Pferden ein. Die Tatsache, dass sie uns sofort auf Deutsch fragen wie es uns geht und die für diesen Landstrich ungewöhnliche Bekleidung mit schwarzer Lederjeans, Jacke und Hut, deuten daraufhin, dass es sich um Freizeitcowgirls aus Ulaanbaatar handelt. Nach kurzem Gespräch stellt sich dann heraus, dass die beiden mit zwei deutschen Jungs unterwegs sind und eine Tour am westlichen Seeufer unternehmen. Einen Tag vorher hatte sich unser Weg schon mit einem Pärchen aus Frankreich gekreuzt, das mit Packpferden und einem sehr wild aussehendem Führer sehr stilvoll durch die weglose Taiga streifte. Die Beiden reagierten ausgesprochen unfreundlich auf die Begegnung, vermutlich hatten wir ihnen die Illusion genommen, die einzigsten Europäer am Ende der Welt zu sein. Möglicherweise hatte sie auch unsere stillose und bunt zusammengewürfelte Reitkleidung irritiert, denn die beiden schienen im Gegensatz dazu gerade auf dem Weg zur Fuchsjagd eines europäischen Monarchen zu sein. Aber wer weis, wie die Beiden ihre Begegnung mit uns in ihren Reiseerzählungen erwähnen.

Da der Rückweg über eine nun schon bekannte Route lange nicht so interessant ist wie der Hinweg legen wir planmäßig nicht die gesamte Strecke mit Pferden zurück. Das eigentliche Ende unserer Khuvsgul Tour wird am letzten Lagerplatz vor dem Khuvsgul See sein. Von hier werden wir mit Geländewagen die etwa 110 Kilometer bis Murun zurückfahren.

Die letzte Etappe auf Pferden wird dann auch noch mal richtig ausgekostet, denn keiner von uns wird so bald wieder das Gefühl erleben können, wenn ein gutes Dutzend Reiter kilometerweit ihre Pferde im Galopp über eine unendlich weite Landschaft treiben. Zum letzten mal feuert Ölzij mit "Attacke!" Pferde und Reiter an.

                                                                        

Am abendlichen Lagerfeuer warten wir dann auf einen dritten Geländewagen, der uns mitsamt dem zahlreichen Gepäck am nächsten Morgen nach Murun bringen soll. Lange sitzen wir heute allerdings nicht mehr am Feuer, denn die Temperatur ist merklich gefallen. Gegen Mitternacht, als das für uns so wichtige Fahrzeug dann eintrifft, ist die Temperatur schon unter null Grad gefallen. Am nächsten Morgen schaffen wir es gerade vor Beginn eines noch lange anhaltenden Regens die Zelte zu verpacken. Auf dem letzten Pass vor Murun wirbeln dann auch schon Schneeflocken im Regen munter mit. Der mongolische Winter hat hier im Norden somit begonnen und das Anfang September. In knapp zwei Monaten werden die in der Mittagsglut flimmernden Steppen am Salzsee in 30 Grad Frost erstarrt sein und der Khuvsgul See ist dann soweit zugefroren, dass man mit schwer beladenen Lastkraftwagen über das Eis fahren kann.

Jens Geu, Sommer 2000