Reiseberichte aus der Mongolei Jens Geu

Eine ganz normale Touristenreise


Das Ziel der diesjährigen Reise ist in erster Linie der Weg. Der Weg deshalb, weil die Anfahrt in die Mongolei diesmal mit der Transsibirischen Eisenbahn erfolgen soll. Allerdings nicht mit einem Reisebürobilet à la Intourist, sondern mit einer Fahrkarte der sowjetischen Staatsbahn. Das ist deshalb so entscheidend, weil es gerade an dieser Stelle spannend wird. Es ist nämlich nicht möglich, aus was weis ich nicht für Gründen in der DDR auf irgend eine Weise eine Platzreservierung für den Zug von Moskau nach Ulaanbaatar zu erhalten. Somit steigen wir in Berlin in unseren reservierten Schlafwagen und hoffen, das die Weiterfahrt genau so gut klappen wird.

An der russischen Grenze lässt man keinen Zweifel daran, dass wir als Transitreisende in die Mongolei nicht besonders gern gesehen sind. Der Grenzbeamte füllt missgelaunt den Transitschein aus, der uns dazu verpflichtet in spätestens sechs Tagen das Land wieder verlassen zu haben, allerdings kann er uns für eine Platzkarte im Zug nach Ulaanbaatar auch keine Zusicherung geben, so dass wir schon in der schönsten Zwickmühle stecken.

        

In Moskau ist der erste Weg zum Jaroslawler Bahnhof, von wo aus die eigentliche Reise beginnen soll. Allerdings bestätigt sich hier, was mir zahlreiche Mongolen schon erzählt haben: Fahrkarten bzw. Platzkarten gibt es hier nicht, aber wenigstens bestätigt sich die Annahme, dass am nächsten Tag ein Zug nach Ulaanbaatar auf die Reise geschickt wird. Der Platzkartenschalter ist in einem Büro in einem Neubauviertel mehr oder weniger am Stadtrand der Achtmillionen-Stadt. Irgend wie finden wir das Büro auch, aber da es bereits nach siebzehn Uhr ist, herrscht Feierabend.

Am nächsten Vormittag erwartet uns eine riesige Menschentraube vor dem Gebäude. Ein Ordner mit roter Armbinde versucht diese zu einer Schlange zu bändigen, allerdings mit mäßigem Erfolg. Gegen 12 Uhr erschallt der Ruf "Mittag" und die Menschentraube löst sich langsam auf. Als gegen 15 Uhr die Schalter wieder öffnen, geht das Geschiebe von neuem los. Nach anderthalb Stunden stehen wir dann endlich vor dem Ziel unserer Mühe, Angesicht zu Angesicht mit einer der allmächtigen Platzkartenverkäuferinnen. Wir fuchteln immer wieder mit den Transitscheinen und beteuern, dass wir unbedingt in den Zug am Abend steigen müssen. Die Schalterdame fuchtelt und schimpft genauso und das ganze geht eine Weile hin und her, aber während dessen hat sie uns den begehrten Stempel verabreicht. Leider ist damit der Platz im Zug immer noch nicht ganz sicher, da nach Aussagen der mongolischen Studenten der Schlafwagenschaffner auch noch eine wichtige Rolle spielt. Er ist der Mann oder die Frau vor Ort und bestimmt, wer wirklich einsteigt. Manche wollen dafür einen kleinen Gehaltszuschuss und machen im schlimmsten Fall das ganze Ticket wieder ungültig. Deshalb ist uns allen auch nicht ganz wohl, als wir am Abend vor dem Einsteigen in den Waggon die Fahrkarten an den Schaffner abgeben müssen. Man hat schon oft gehört, dass der sich dann zehn Minuten später an nichts erinnern konnte, zumal auf der Karte nicht mal ein Name vermerkt ist. Erst als der Zug sich in Bewegung setzt und wir noch drin sind, schwindet unser Misstrauen und wir haben wahrscheinlich einen der letzten ehrlichen Schlafwagenschaffner der Sowjetunion erwischt.

Endlich tritt nun dieser unheimlich entspannende Zustand ein, den ich mir immer bei einer fünftägigen Eisenbahnreise vorgestellt hatte. Das Gefühl, sich in den nächsten Tagen nur mit Schlafen, Plaudern und Essen beschäftigen zu müssen und dabei weite Landschaften an sich vorüberziehen zu sehen, ist einfach beruhigend und wenn man dann noch weiß, dass am Ende der Reise die mongolischen Landschaften locken, dann kommt dazu noch der Genuss an der Vorfreude.

Schon am zweiten Tag im Zug hat man das Zeitgefühl völlig verloren und bei dem Blick aus dem Fenster wird die Dimension Sibiriens wirklich bewusst. Stundenlang geht die Fahrt durch Wälder und vorbei an kleinen Dörfern, ehe eine Stadt erreicht wird, die hier viele hundert Kilometer entfernt voneinander liegen. Die Bahnstrecke berührt praktisch all die bekannten Großstädte Sibiriens, von denen wiederum die Erschließung dieser riesigen Region erfolgt, die größer ist als ganz Europa. Hin und wieder sieht man an der Bahnstrecke auch Industriebetriebe und Umweltschäden durch das rücksichtslose Vorgehen des Menschen, aber an Hand der Dimensionen Sibiriens überwiegt hier immer noch die kaum bezwingbare Taiga. Das schmale Band der Eisenbahntrasse wirkt wie zerbrechlich in dem Urwald aus Kiefern, Lärchen und Birken. In Richtung Norden, das heißt zum Eismeer existieren praktisch keine Städte oder Eisenbahnlinien, hier regiert die Taiga und das sind immerhin über 4'000 Kilometer.
                       

Am Ende des vierten Reisetages wird die Landschaft dann auch noch richtig spannend, der Baikal wird erreicht. Erstmals sind an den südorientierten Berghängen Formen der zentralasiatischen Steppenlandschaften zu erkennen. Bis vor einigen hundert Jahren war der Baikal auch noch die nördliche Grenze der mit ihren Herden nomadisierenden mongolischen Stämme. Heute leben hier mit den Burjaten zwar auch noch eine große Zahl von Mongolen, aber nomadisierende Viehzüchter mit den traditionellen Jurten trifft man heute nicht mehr. Der Zug schlängelt sich am südlichen Ufer des Sees entlang und wendet sich dann nach Süden in die Burjatische Autonome Sowjetrepublik. In der Hauptstadt Ulan-Ude wechselt der Zug dann von der Transsibirischen Eisenbahn auf die Transmongolische Eisenbahn. Der Bahnhof ist schon überwiegend von Asiaten bevölkert und im Gegensatz zu dem nur 250 Kilometer entfernten Irkutsk wird dem Reisenden hier erstmals bewusst, dass man ja bereits seit der Überquerung des Urals vor drei Tagen in Asien ist. Von Ulan-Ude aus zuckelt der Zug nunmehr ohne elektrischen Antrieb über ein breites Steppental auf die Hochebene der Mongolei. Gegen Mitternacht ist der russisch-mongolische Grenzbahnhof erreicht und alle Passagiere müssen den Zug verlassen. Die Wagen werden einzeln in eine spezielle Halle gefahren und es beginnt eine zweistündige Kontrolle derselben auf heimliche Verstecke. Uns ist zwar nicht klar, was hier gesucht wird, aber es muss verdammt wichtig sein, denn die gesamte Zeit wird der Bahnhof von Soldaten mit Maschinenpistolen überwacht. Da unsere Transitscheine praktisch um Mitternacht auslaufen müssen wir sogar bangen, dass alles reibungslos abläuft. Jedenfalls sind wir froh, als wir dann endlich wieder im Zug sitzen und auch das Gepäck noch vollständig erscheint. Nach wenigen Minuten rollt der Zug dann auf dem mongolischen Bahnhof in Suchbaatar ein. Im Gegensatz zu ihren russischen Kollegen nehmen die Mongolen hier die Sache viel gelassener und man hat das Gefühl fast wieder zu Hause zu sein. Jetzt können wir uns endlich wieder in die Schlafkojen legen und den Rest der Nacht schaukelt der Zug in Richtung Ulaanbaatar.

Am Morgen stellen wir uns zum letzten mal am winzigen Waschraum an, um etwas von dem tröpfchenweise fließenden Wasser abzubekommen. Von draußen drückt die warme und nach Kräutern riechende Steppenluft in das Abteil und die weißen Punkte der Jurten im grünen Grasmeer vervollständigen das Bild. Auf dem Bahnhof in Ulaanbaatar entsteht noch einmal eine ziemlich hektische Stimmung als versucht wird, das Gepäck so schnell als möglich auszuladen. Bei dem Anblick der Stapel von Koffern, Kisten und Säcken stellt sich die Frage, war das eigentlich ein Personenzug mit Gepäckbeförderung oder vielleicht umgekehrt. Manche Mongolen hatten gleich mehrere Fahrkarten erworben und die Liegen ausschließlich zum Verstauen des Gepäcks benutzt. Offiziell hat auch in der Mongolei der Staat das Außenhandelsmonopol, aber praktisch wird ein großer Teil dessen, was das Leben schöner macht mit jenem Zug nach Ulaanbaatar transportiert. Wir haben gemessen am Durchschnitt nur ein Handgepäck und können uns damit problemlos auf den Weg zu unserem Quartier in einer Neubausiedlung machen. Im Gegensatz zur Anreise mit dem Flugzeug hat man sich bei der Bahnfahrt natürlich wunderbar an die Zeitumstellung gewöhnen können und ist ausgeruht und voller Tatendrang. Von Jet-Lag ist also keine Spur und wir schmieden sofort Pläne für die nächsten Wochen, die hier aber, wie ich nun mittlerweile weiß, meistens anders kommen als man denkt. Wir wollen aber auf jeden Fall die Gobi besuchen und da gibt es bisher nur einen sicheren Weg und der geht nur über das staatliche Reiseunternehmen Zhuulchin. Individualreisen in die Südgobi werden offiziell nicht genehmigt und für eine Schwarzfahrt sind drei Deutsche einfach zu auffällig. Wir versuchen also unser Glück bei Zhuulchin und bekommen auch für umgerechnet 500 Mark pro Person einen viertägigen Gobiflug. Etwas billiger ist ein Flug nach Chudschirt, den wir als Zugabe auch noch mitnehmen. Damit steht unser Rahmenprogramm fest und wir haben die restliche Zeit für spontane Unternehmungen die es hier ja häufiger gibt. Da wäre natürlich in erster Linie das obligatorische Ziegenschlachten.

                                                                           

Am Wochenende kommt ein Kleinbus und fährt die gesamte Gastgeberfamilie samt Ziege in Richtung Norden. Auf einer Lichtung im Lärchenwald wird zunächst die Ziege geschlachtet und dann wird das Garen im eigenen Balg vorbereitet. Dazu werden die ausgelösten Fleischteile wieder in den Balg gesteckt und dieser wird mit Draht wieder verschlossen unter Zugabe von glühenden Steinen und dann wird von außen auch noch Hitze zugeführt. Da die Prozedur einige Stunden in Anspruch nimmt, durchstreifen wir die Wälder und sammeln Pilze, zunächst auf Verdacht, in der Hoffnung dass uns jemand die essbaren bestimmen kann. Leider weis aber keiner der Anwesenden welche essbar sind, denn selbst bei Pilzen, wo ich mir relativ sicher bin, heißt es immer giftig. Traditionell kennen Mongolen auch nur einen einzigen essbaren Pilz, den berühmten Zagaan Moog, das heißt einen weißen Wiesenchampignon. Die unzähligen Waldpilze, von denen die meisten mit Sicherheit essbar sind, werden von den Mongolen überhaupt nicht beachtet. Also gibt es Ziege ohne Pilze, dafür aber mit viel Wodka.

                                                                          


Andere Tage verbringen wir damit, im Tuul Fluss baden zu gehen. Der Fluss kommt aus dem Chentii und ist glasklar und gar nicht so kalt wie man annimmt. Auch Wanderungen im Bogd-Uul-Gebirge südlich von Ulaanbaatar sind immer ein Erlebnis. Beeindruckend ist vor allem das in dem über dreihundert Jahre alten Naturschutzgebiet, wirklich nichts von menschlichen Eingriffen zu sehen ist. Nur wenige Kilometer von der Stadt entfernt ist hier dichte Bergtaiga und Wanderer trifft man so gut wie nie, da Mongolen ja Reiter sind und auf Berge sowieso nicht klettern. Von dem immerhin 2'200 Meter hohen Bergkamm hat man von einer Felsspitze eine herrliche Aussicht auf die 900 Meter tiefer liegende Stadt.

Am Abreisetag zum Touristencamp nach Chudschirt treffen wir am Flughafen noch andere Mitreisende, die die kleine Reisegruppe vollständig machen. Neben einer deutschen Familie, die in der Botschaft beschäftigt ist, fliegen noch jugoslawische Bauarbeiter mit, die in Ulaanbaatar Gebäude für eine Teppichfabrik errichten. Die Kollegen wollen eigentlich nur zum Angeln an den Orchon-Wasserfall und haben die Reise über schwarz getauschte Dollar finanziert und das bedeutet, sie haben für das viertägige Vergnügen ganze vierzig Dollar bezahlt. Dazu haben sie im Intershop noch zehn Flaschen Whisky besorgt und der Spaß ist perfekt. Am beeindruckendsten ist jedoch der Kassettenrecorder, den einer der fünf mit sich herumschleppt. So groß wie ein Reisekoffer und mit einer beachtlichen Lautstärke. Die Kassette, vermutlich immer dieselbe, enthält einen Mischmasch aus deutschem Alpenjodeln, arabischen Klängen und seichtester englischer Popmusik, Jugo-Pop also. Mit der Landung in Chudschirt wird dieser Un-Sound zu unserem ständigen Begleiter. Das Touristencamp in Chudschirt macht einen sehr aufgeräumten Eindruck, liegt aber landschaftlich nicht herausragend schön. Der Tag vergeht damit, in die Steppe hinauszuwandern und wenigstens der Beschallung des Kassettenrecorders zu entkommen.

Am nächsten Morgen startet eine Fahrt im geländegängigen Bus zum Orchon-Wasserfall. Das Wetter ist gut, die jugoslawische Begleitmusik nervtötend und der Whisky der im Bus kreist ist lauwarm. Die Piste trifft auf halber Strecke das erste mal auf den Orchon, der hier tief unten in einem Cañon fliest und in dem brettebenen Steppental erst dann sichtbar wird, wenn man unmittelbar davor steht. Lediglich die Wipfel der Lärchen, die an den Hängen des Cañons wachsen, ragen stellenweise aus der sonst völlig baumlosen Steppenebene. Nach etwa zwei Stunden ist der Wasserfall erreicht und jeder kann in den Stunden bis zum Abend die Gegend durchstreifen. Der Wasserfall hat eine Höhe von etwa dreißig Metern und manchmal ganz beachtliche Wassermassen, in Trockenzeiten ist er aber eher ein Flüsschen. Landschaftlich ist er immer eine Reise wert, da die umgebenden Bergmassive mit ihrem Wechsel von Steppe, Taiga und Sümpfen dem Idealbild vom mongolischen Changai schon ziemlich nahe kommen.

Während wir in der Gegend umherstreifen, haben unsere jugoslawischen Angler tatsächlich einige größere Fische gefangen. In mongolischen Gewässern ist das Fischen aber meist erfolgreich.

Am Abend bringt uns der Bus wieder in das Camp zurück, wobei natürlich die Whiskyflaschen und der Kassettenrekorder für die entsprechende Stimmung sorgen. Das Ziel des nächsten Reisetages ist die alte mongolische Hauptstadt Karakorum. Glücklicherweise verzichten die jugoslawischen Freunde auf die Mitreise und wir bleiben diesmal von der nervtötenden Musik verschont. Die Anlagen des Klosters Erdene-Zuu liegen etwa 50 Kilometer vom Touristencamp entfernt und sind eigentlich das einzigste sichtbare historische Erbe. Von den Gebäuden, die zur Zeit Tschingis Khans die Hauptstadt der Mongolei darstellten ist praktisch nichts zu sehen. Die heute zu besichtigenden Gebäude sind erst drei Jahrhunderte später entstanden und der Rest einer überdimensionalen Klosteranlage in der ehemals tausende Mönche lebten. Karakorum selbst spielt in der heutigen Mongolei keine große Rolle, es hat nicht einmal den Status eines Bezirkszentrums. Es ist nur der Name und die Historien die übriggeblieben sind von der Hauptstadt des größten Weltreiches der Geschichte.

                                 

Die kurze Reise in den Changai endet am nächsten Tag noch mit einer kurzen Demonstration der Fähigkeiten, die das Leben in der Steppe hervorbringt. Nach der Landung der AN 24 auf der Steppenpiste fetzt es beim Drehen über einem Gesteinsbrocken den Reifen vom Rad des Fahrgestells. Kurzerhand wird das tonnenschwere Flugzeug am Fahrgestell abgestützt und man beginnt unter dem Rad ein entsprechend großes Loch zu graben um den Radwechsel durchführen zu können. Mit dem so gewechselten Rad klappt die Landung in UB anstandslos.

Einige Tage danach besteigen wir wieder eine Antonow und Fliegen in Richtung Gobi. Die Freude war allerdings groß, als wir auf dem Flughafen unsere jugoslawischen Freunde mit ihrem Kassettenrecorder treffen, die zufällig die gleiche Absicht haben. Allerdings sind auch eine Gruppe deutscher Studenten an Bord, die ihren Studentensommer in der Mongolei absolviert haben und jetzt noch für ein paar Tage in die Gobi reisen möchten.

Bei dem Überfliegen der Landschaft in geringer Höhe entsteht der Eindruck einer relativ grünen Vegetation, zumindest für eine Wüste. Bei der Landung wird dann aber doch der Unterschied zur Steppe deutlich. Der Boden ist von Kieseln bedeckt und einzelne Lauchhalme täuschen auf die Ferne betrachtet eine geschlossene Vegetationsdecke vor. Das Touristencamp von Dalandzadgad liegt in so einer Schotterebene vor der Kulisse des Gurvan Saichan Gebirges. Einige aus der Studentengruppe wollen sofort in Richtung des Gebirges loswandern, in der Hoffnung es nach wenigen Kilometern zu erreichen. Natürlich unterliegen sie der in diesem Land immer wieder beschriebenen Täuschung über Entfernungen. Hauptgrund dafür ist aber nicht vorrangig die klare Luft, wie immer angenommen wird, sondern das vollständige Fehlen von Vergleichsmöglichkeiten für das Auge. Hier gibt es kein Gebäude, keine Siedlung, keine Strasse, ja nicht mal einen Baum der einen Anhaltspunkt bieten könnte. Nach etwa vier Stunden kommen die wackeren Optimisten zurück und berichten, dass sie sich dem Gebirge kaum genähert haben, kein Wunder, denn die geschätzten 5-10 Kilometer sind in Wirklichkeit über fünfundzwanzig. Für den kommenden Tag sieht das Programm eine Tour zu Wanderdünen und einer Kamelzüchterfamilie vor. Die Fahrt wird ziemlich rasant, da der kleine geländegängige Bus mit bis zu 90 km/h über die brettflache Schotterebene rast. Kleinere Querrinnen quittieren die Insassen mit einem Flug aus den Sitzen zur Freude des Fahrers.

Nach etwa vierzig Kilometern sind die Sanddünen erreicht. Der weiße Sand steht im völligen Kontrast zu der sonst von grauen Kieseln übersäten Schotterwüste. Die Dünen sind etwa 40 Meter hoch und damit Zwerge in der Gobi, sie sind aber so genial vom Wind geformt, das sie geradezu wie Kunstwerke erscheinen. Die mitreisenden Studenten entwickeln ein Gaudi, indem sie sich die Düne hinabrollen lassen und versuchen das ganze Gebilde ins Rutschen zu bringen.

            

Gleich in der Nähe der Dünen stehen zwei Jurten von Nomadenfamilien, die hauptsächlich Kamele züchten. Hier gibt es auch Kamelmilch zur Probe, ein Getränk, was für mich keine Delikatesse werden wird. Am Abend bietet sich vom Touristencamp aus das Bild eines traumhaften Gobi Sonnenunterganges mit der Silhouette des Gurvan Saichan Gebirges. Genau in diese Landschaft fahren wir am nächsten Morgen. Das genaue Ziel ist die Geierschlucht im südlichen Teil des Gebirges. Der Weg dahin führt durch ein enges Tal auf einen Pass von dem man dann einen absolut beeindruckenden Blick in das Felsengebiet der Geierschlucht hat. Die Felswände sind bis zu 600 Meter hoch und Nistplatz von Geiern, Adlern und anderen Raubvögeln. Am Grund des Tals fließt ein glasklarer Bach und der Boden ist mit satt grünem Gras bewachsen. Ein Szenario, das völlig vergessen lässt, dass das Ganze mitten in der Wüste liegt. Die Schlucht verengt sich teilweise auf drei Meter Breite und hier wo nie ein Sonnenstrahl hingelangt erwärmt sich die Temperatur auch mittags kaum über 15 Grad. Normalerweise reicht die Kälte der Nacht aus, das hier ein Eisblock den Sommer überdauert. Heute kann man das aber nicht mehr in jedem Jahr beobachten. Bis in die siebziger Jahre soll es aber hier permanent Eis gegeben haben, das infolge einer Klimaerwärmung zurückgegangen ist.   
                                       

Die Schlucht bietet immer neue faszinierende Anblicke und Aufstiegsmöglichkeiten aller Schwierigkeitsgrade auf die zahlreichen Gipfel des Gebirges. Von nahezu senkrechten Wänden bis zu Wandermöglichkeiten an den Flanken. Wir wählen uns eine verheißungsvolle Route und nach etwa drei Stunden haben wir einen Gipfel erreicht, von dem sich eine nahezu Rundumsicht auf das wild zerklüftete Gebirge bietet. Im Osten ist sogar die endlose Gobiebene auszumachen, ein Anblick den man so schnell nicht vergisst. Natürlich gibt es anderswo auch schöne Ausblicke aber hier kann man in Verbindung mit der klaren Sicht einen Umkreis von hundert oder mehr Kilometern überblicken und man sieht kein Haus, kein Fahrzeug, keine Strasse, keine Felder, einfach nur Natur, so wie sie schon vor tausenden von Jahren hier auch ausgesehen hat.

    

Die Rückfahrt ins Gobi-Camp kommt leider viel zu früh und damit endet eigentlich auch schon der Kurztrip in die Wüste, denn am nächsten Mittag kommt bereits das Turboprop-Flugzeug, das uns wieder nach Ulaanbaatar bringt.

Jens Geu, Sommer 1987