Reiseberichte aus der Mongolei Jens Geu

Wüstensand und Lärchentaiga – ein Land, viele Landschaften


Der Regen wird vom Wind gegen die Autoscheibe gepeitscht und von Kamelen tropft das Wasser wie von zum Trocknen aufgehängter Wäsche. Es regnet schon Stundenlang ununterbrochen. Eigentlich sind wir in der Gobi, das heißt in der sogenannten Mittel-Gobi, aber geographisch ist diese Landschaft eine klassische Steppe im Übergang zur Wüstensteppe. Im Gegensatz zur "echten Wüste", die etwa 200 Kilometer südlicher beginnt, gibt es hier außer kurzen Gräsern praktisch keine Vegetation. Erstaunlicher Weise existiert in den zentralen Bereichen der Gobi eine bedeutend vielfältigere Pflanzenwelt, in der auch wieder Sträucher, ja sogar Bäume zu finden sind. Jetzt sind wir aber wie gesagt inmitten einer von schweren Regenwolken verhangenen tropfnassen Steppe und die beiden russischen UAS kämpfen sich in jeder Geländesenke durch gefährlich weichen Schlamm. Im Allgemeinen ist dieser Landstrich eher trocken und Oberflächenwasser in Form von Seen oder gar Flüssen fehlt völlig, aber jetzt im August hat es uns auch einmal erwischt und eiskalter Nordwind bringt Massen von Regenwolken aus Sibirien heran – einer Landschaft in der eigentlich kaum Regenwolken entstehen könnten – eigentlich.

Angekündigt hat sich das ganze schon einen Tag vorher in Ulaanbaatar, die Hitze der vergangenen Tage ist innerhalb von zwei, drei Stunden eiskalten sibirischen Winden gewichen. Nunmehr gibt es für uns erst mal nur ein Ziel, so schnell als möglich in Richtung Süden zu kommen, in der Hoffnung, das die Wolken auf dem Weg in diese Richtung ihre ungemütliche Fracht verlieren und irgendwo die Sonne wieder die Oberhand gewinnt. Kurzfristiges Ziel ist es aber in einer von Regen freien Minute die Zelte möglichst trocken für ein Nachtlager zu errichten. Das erweist sich aber als unwahrscheinlich, bis förmlich in letzter Minute, kurz vor Sonnenuntergang, der allerdings nicht sichtbar ist, ein Fleckchen auftaucht, an dem es bisher kaum geregnet zu haben scheint. Der Wind macht den Zeltbau trotzdem nicht einfach und kaum stehen die Behausungen, dassregnet es auch hier. In der Nacht kommt dann natürlich auch noch ein Gewitter hinzu und die erreichen in der Mongolei wirklich prächtige Ausmaße. Auch ist es in einer solchen Steppenlandschaft unmöglich sichere von unsicheren Plätzen zu unterscheiden, hier ist es rein eine statistische Frage, wo der Blitz hin trifft.

Am Morgen dann dasselbe Bild und keine Aussicht auf Besserung, es hilft also nichts. Die tropfnassen Zelte werden schnellstmöglich in die Autos verpackt und der Kurs geht streng in Richtung Süden, dahin, wo irgendwo die Sonne wartet. Aber Zeit und Entfernungen sind in der Mongolei überall relativ, hundert Kilometer sind keine Entfernung, aber wiederum bedeuten diese hundert Kilometer drei manchmal aber auch zehn Stunden Weg, mit dem Auto wohlgemerkt. Und so vergehen noch reichlich sechs Stunden bis die kleine Kolonne so weit im Süden ist, dass auch schon die Wolkendecke lichter wird und dann, fast wie mit einem Lineal gezogen, lösen sich die Wolken gänzlich auf und der typische mongolische Himmel zeigt sein unwirklich strahlendes Blau. Was bleibt ist der Wind. Der macht am nächsten Tag tief in der südlichen Gobi andere Probleme. Stellenweise treibt er soviel Sand über die Schotterebenen, dass die Sicht stark eingeschränkt ist und an ein Zeltlager für die Nacht überhaupt nicht zu denken ist. Schutz versprechen das nur die engen Täler des Gobi-Altai, die sind aber noch reichlich 100 Kilometer entfernt und das bedeutet ohne weitere Umwege und Aufenthalte zu fahren bis die Dunkelheit einbricht.


Dafür fällt auch ein längerer Besuch der Siedlung Dalanzadgad, der Hauptstadt der mongolischen Gobi aus. Dieses Bezirkszentrum ist eine der beiden Ortschaften, auf die man bei seinem dem Weg von Ulaanbaatar in die Süd-West Gobi trifft, immerhin auf einer Strecke von reichlich 650 Kilometern.

Die ersten oder auch letzten Ausläufer des Gobi-Altai, je nachdem von wo betrachtet, sind das Gurvan Saichan Gebirge. Wie auch die anderen Gebirgszüge bildet es einen selbstständigen Gebirgsstock, der steil aus der umgebenden Gobi- Ebene herausragt. Nachdem wir in die Täler des Gebirges hineingetaucht sind, ist auch vom Sturm der Wüstenebene nichts mehr zu spüren. In der Geierschlucht umgeben steile, bis zu 400 Meter hohe Felswände die schmale, oft nur wenige Meter breite Talsohle, so dass ein völlig anderes Klima als in der wenige Kilometer entfernten Wüste herrscht. Gräser bedecken den Talboden und das klare Wasser eines Gebirgsbaches fließt geradezu verschwenderisch. Ein Lagerplatz wie man ihn sich kaum besser wünschen kann, der lediglich einen Nachteil aufweist, man ist hier selten ganz allein. Das hat seine Ursache einfach darin, dass es sich bei der Geierschlucht um das älteste Tourismusgebiet der Mongolei handelt. Schon vor mehr als dreißig Jahren sind hier die Reisegruppen des damaligen staatlichen Reiseunternehmens Zuulchin durch dieses Tal gewandert und auch noch heute ist es die am häufigsten besuchte Attraktion der Mongolei. Wobei häufig besucht natürlich relativ ist, für mongolische Tourismusverhältnisse sind das ein paar Dutzend Reisende, die an einem Tag das Tal erkunden. So kommt es, dass bereits einige andere Zelte den Talgrund besiedeln. Die hauptsächlich deutschen Touristen singen sich am nächtlichen Feuer vermutlich warm, denn die Temperatur fällt hier in reichlich 2'200 Metern Meereshöhe nach dem Sonnenuntergang beträchtlich. Am Morgen bringt die Sonne aber binnen kürzester Zeit die Temperaturen in wüstenwürdige Bereiche, zumindest dorthin, wo sie den Talboden erreicht.

In den engsten Bereichen, wo die Schlucht wirklich nur noch drei Meter breit ist und die Wände zwischen neunzig und achtzig Grad steil in Höhen um die 400 Meter aufragen, dort erreicht nie ein Sonnenstrahl den Boden und hier hält sich bis in den Juli das Eis des kleinen Baches. Bis vor etwa dreißig Jahren soll es sich dabei um permanentes Eis gehandelt haben, das im Sommer praktisch nie völlig abgetaut ist. Die Mongolen werten das verschwinden ihres Gobigletschers, wie sie ihn bezeichneten, als einen Beweis für die Klimaerwärmung.

                                                                                                 

Einen krassen Gegensatz dazu bilden die kaum siebzig Kilometer entfernten mächtigen Sanddünen des Hungriin Els. Der fast schneeweiße Sand türmt sich zu einem zweihundert Meter hohen Gebirge auf. Besonders eindrucksvoll ist das Bild dort, wo im Hintergrund die fast 3'000 Meter mächtigen Gebirgszüge des Gobi-Altai eine zweite Raumebene bilden.

Wenn man die Dünen über einen ausstreichenden Grat besteigen will muß man einige Zeit mitbringen, denn selbst ein solcher Weg ist noch so steil, dass man bei jedem schritt nach vorn, einen halben zurück gleitet. Nur der sichelförmige Grat bietet überhaupt etwas festen Boden und eine Orientierung. Lediglich die eigene Spur bildet einen Anhaltspunkt bis sie in einigen Stunden vom Spiel des Windes wieder ausgelöscht ist. In der Sandschräge selber ist kein Vorwärtskommen und eine unvermeidliche Beklemmung stellt sich ein, wenn man innerhalb der völlig Konturenlosen weiß flimmernden Sandwand versucht aufwärts zu stapfen. Solche Orte sind zwar wunderschön, entsprechen aber so ganz und gar nicht dem gewohnten Lebensraum eines gewöhnlichen Menschen, deshalb ist man dann doch irgendwie auch froh, wenn man die Düne wieder im Rücken hat und auf dem Kiesboden der Wüstenebene angekommen ist. Der Eindruck aber bleibt, es ist sicher einer von den wenigen, die man noch Jahre nachempfinden kann.

                            

Eine der wohl schönsten Reiserouten im Süden der Mongolei ist die Strecke vom Hungriin Els zum Bogd Somon. Die Wüste zeigt sich hier von Ihrer abwechslungsreichsten Seite. Sandebenen mit Saksaulwäldern wechseln mit von rotem Löß überzogenen brettflachen Senken, die vor kurzem nach sicher heftigen Regenfällen noch unter Wasser standen, dazwischen liegen wieder riesige mit Kameldorn bestandene Kiesebenen und alles wird am Horizont umrahmt von schroffen Gebirgsketten des Gobi-Altai.. Dort wo der nackte Stein von Felsen offen der Witterung ausgesetzt ist, sind alle Farben des geologischen Spektrums zu erkennen.

Neben einer Felsformation, die tiefschwarz aus der Ebene ragt, kann nur wenige hundert Meter entfernt rotes Gestein das Gefühl von australischem Outback vermitteln. Die Vielfalt der geologischen Materialien, die hier praktisch offen liegen, ist einzigartig. In dieser Hinsicht ist die Mongolei einer der reichsten Staaten dieser Erde, es gibt Bodenschätze ohne Ende, das Problem sind jedoch die extremen Infrastrukturkosten, die einen Abbau von Bodenschätzen in der Regel unwirtschaftlich machen.


Diese wirklich einzigartige Route hat aber auch ihre Probleme; es ist eben eine echte Wüsten- Tour. Im Gegensatz zu der weit im Osten verlaufenden Piste zwischen der Mittel- und der Süd-Gobi gibt es hier praktisch keinen Verkehr, man kann eigentlich nicht damit rechnen, auf den etwa 150 Kilometern anderen Fahrzeugen zu begegnen. Auch ist die Orientierung ziemlich erschwert und bei Regenfällen können gerade die erwähnten Senken zu gefährlichen Fallen werden.

Es ist also eine Strecke, die man auf keinen Fall nur mit einem Fahrzeug allein unter die Räder nehmen sollte. Im Grunde genommen ist es auch viel zu schade, diese Landschaft in einem Zuge, das bedeutet hier in einer Tagesreise, zu durchqueren. Vielmehr ist diese Gegend dazu geeignet etwas intensiver umherzustreifen, mal eine Bergkette zu erkunden oder zu einer Sanddüne abschweifen, die hier zwar nur vereinzelt anzutreffen sind, aber gerade deshalb wunderbare Motive abgeben.

Am Ende dieser Route wartet eine Überquerung des Bogd - Gebirges, des höchsten Gebirgsstockes des Gobi-Altai. Die Piste taucht in eine Schlucht, die einem Schlund gleicht und in Wirklichkeit nur das Bett eines Trockenflusses ist. Bei Regen stürzen hier die Wassermassen von tausenden Hektar nacktem Gestein in Richtung der Gobisenke. Nichts hält hier das zu Tal stürzende Wasser zurück. Die Kraft der Natur erkennt man am Besten an den Gesteinsbrocken, die das Flussbett bilden. So schön die Kulisse auch ist, ein Nachtlager sollte man hier nicht errichten. Denn wann das seltene Ereignis eines Wolkenbruches im Gobi-Altai eintritt ist kaum berechenbar. In dem Zusammenhang kommt mir auch ein Zitat wieder in den Sinn das mir vor Jahren irgendwo über den Weg gelaufen ist, darin wurde festgestellt, dass in der Gobi mehr Menschen ertrinken, als verdursten. Das mag zwar auch daran liegen, das sich in der Gobi kaum leichtsinnige Abenteurer herumtreiben und die dort lebenden Nomaden sehr umsichtig leben und den Umgang mit dem Trinkwasser beherrschen. Hauptsächlich sind die plötzlich auftretenden heftigen Gewitterregen in den Felsengebirgen des Gobi-Altai dafür verantwortlich.

Nördlich des Baga Bogd Gebirges liegt ein Salzsee Namens Orog Nuur. Ich selbst bin schon zweimal an dem See vorbeigefahren, so richtig gesehen habe ich ihn eigentlich noch nie. Das liegt daran, dass der See eine stark wechselnde Größe aufweist, und sich das eigentliche Ufer ständig verschiebt, das wiederum bedeutet, das es rund um den See keinen festen Boden unter den Füßen gibt und weite Flächen von Treibsand oder Sumpf eingenommen werden. Diesmal ist aber die Neugier so groß, dass der Beschluß feststeht, das Seeufer muß erreicht werden.

Nach einigen Kilometern im lockeren Treibsand sind dann auch zwei Jurten erreicht, wo man auf eine Auskunft hoffen kann. Ohne fremde Hilfe ist es praktisch unmöglich, einen sicheren Weg für die Fahrzeuge in Richtung See zu finden.

Die Bewohner, die hier hauptsächlich und offensichtlich auch ziemlich einträglich von der Kamelzucht leben, geben auch bereitwillig Auskunft, so dass es uns möglich wird, doch noch einige Kilometer an die Uferlinie heranzukommen. Die Fahrt endet aber dann an einigen Reihen weiser Sanddünen, hinter denen eine brettebene Fläche aus Sand und Schlick liegt – der Grund des Gewässers, der nur zeitweise unter Wasser steht. Von diesem Punkt sind es heute noch etwa vier Kilometer bis zum Wasser, aber das kann morgen schon ganz anders sein.

                                                                                           

Die Wanderung bis zum ersehnten Wasser in der Wüste ist natürlich nur zu Fuß möglich, denn der Boden birgt völlig unberechenbare Löcher aus Schlick und Schlamm. Die Hitze über der Ebene läßt die Vorstellung von einem erfrischenden Bad zur Sucht reifen, zumal vom Gewässer her der typische Geruch von Salzwasser und eine leichte Brise den Eindruck von Meer entstehen läßt. Aber bereits die ersten Pfützen lassen keinen Zweifel, hier kann man nicht baden, zumindest nicht als Mensch. Einige dutzend Kamele stehen jedoch in der warmen und stark organisch beeinflußten Brühe, die haben auf Grund ihrer riesigen Sohlen kein Problem auf dem schwammigen Untergrund. Ja hätte man ein Schlauchboot, dann wäre es kein Problem in tiefere Bereiche zu fahren, wo dann auch die Wasserbeschaffenheit sicher besser wäre, aber wer fährt schon in die Gobi und hat ein Schlauchboot dabei!? Ziemlich enttäuscht macht sich der kleine Trupp dann auch wieder auf den Weg zu den Fahrzeugen.

Unverhofft sollen wir heute jedoch noch zu einem Badevergnügen kommen. Im Zulauf des Sees, einem kleinen Fluß, der bei Regenfällen zum Strom anwächst und in Trockenzeiten fast völlig versiegt, ist heute Wasser anzutreffen. Das Wasser ist ziemlich sauber und es ist der Rest dessen, was der Fluß, der aus dem Changai kommt, nach 150 Kilometern Wüste noch mit sich führt. Es ist zudem auch noch angenehm warmes Wasser und das erste Bad nach etlichen Wüstentagen empfindet man immer wieder als etwas ganz einmaliges.

Später im Changai gehört Wasser immer zum Landschaftsbild. Kleinere oder größere Flüsse, Seen, Sümpfe oder auch an kalten Tagen der Schnee auf den Berggipfeln sind allgegenwärtig. Wasser erschwert hier auch ganz erheblich das Vorwärtskommen.

Wir haben zur Changai-Überquerung die Piste zwischen Bajanchongor und Zezerleg gewählt. Sicherlich eine gute Wahl, was die landschaftliche Schönheit betrifft, aber auch ein Risiko in Anbetracht der zahlreichen Flußdurchquerungen.

         

Bei niedrigem Wasserstand stellt die Piste keine besonderen Anforderungen, aber normale Regenfälle im August dürften ausreichen, um die Strecke für den UAS für Tage unpassierbar zu machen. Das wird uns auch in einer Jute bestätigt, die wir zum Joghurt-Kauf aufgesucht haben. Es ist eine kleine Jurte, was daraufhin weist, dass die Besitzer nicht sehr vermögend sind. Bewohnerin ist dann auch nur eine schon etwas ältere Frau, die gerade beim Backen von Blätterteig ist, der wie fast alles in der Schüssel produziert wird, die sozusagen der Deckel des Jurtenofens ist. Frischer Joghurt ist auch vorrätig und wir kaufen eine ordentliche Menge davon. Hauptsächlich wird aber der Joghurt produziert um Milchschnaps herzustellen so wird aus dem gesundheitsförderndem Lebensmittel oft ein für Europäer zumindest unangenehm schmeckendes Rauschmittel.

                        

Die Strecke führt weiter durch typische Changai Hochtäler, die von meist dreieinhalbtausend Meter hohen Bergen umgeben sind. Oftmals wird behauptet, daß der Changai sanft und hügelig wäre, aber dieser Eindruck ist als eine Täuschung der Sinne. In diesem Hochgebirge sind die Formen durch Jahrtausende der Erosion gerundet und tragen aber bis in Höhen weit über 3000 Meter einen grünen Teppich, der sich von der Steppe der Tallagen kaum unterscheidet es gibt kaum eine erkennbare Höhenstufung der Vegetation. Es ist eher so, daß vereinzelte Nadelwälder erst in den höheren Lagen der Nordhänge beginnen und dann selbst Höhen von dreitausend Metern noch erreichen.

                                                                                        

Der Höhepunkt der Strecke zwischen dem südwestlichen und nordöstlichen Changai ist zweifellos der Pass. In 2'600 Metern, aber immer noch umschlossen von etwa eintausend Metern höheren Bergen erreicht, die einem deutschen Wanderweg eher entsprechende Naturpiste den Pass Owoo, eine Steinpyramide, die hier kaum zwei Meter hoch ist, ein Zeichen dafür, dass die Piste wirklich nur selten benutzt wird. Die Temperatur erinnert auch gar nicht mehr an Gobi und heißen Sand. Jetzt, nachdem die Sonne den Talboden nicht mehr erreicht sind es nur noch wenige Grad über null und es wird Zeit, die Abfahrt in tiefere Lagen anzutreten. Allerdings fällt das Tal in Richtung Norden nur allmählich und über weite Strecken hat der kleine Gebirgsfluss das ursprüngliche Bett verlassen und benutzt jetzt die Piste auf seinem Weg talwärts, so dass jeder Nomade auf einem Yak schneller wäre als wir.

Kurz vor Einbruch der Dunkelheit begegnen uns dann auch zwei etwa zehn Jahre alte Jungen, die tatsächlich auf Yaks reitend versuchen, das Vieh zum Ail der Familie zurückzutreiben. Geritten wird in der Mongolei traditionell auf vier Tieren, zuerst natürlich auf Pferden, dann werden aber neben Kamelen und Yaks auch Rentiere zum regelmäßigen Reiten benutzt. Allein daran kann man schon ermessen, wie vielgestaltig dieses Land ist.

In kaum zehn Kilometer Entfernung verdunkelt sich der Abendhimmel tiefschwarz, die ersten Blitze zucken und das Rauschen des Regen ist bis hierher zu hören, aber das Unwetter scheint sich festgesetzt zu haben. Diese haben in der Mongolei ihre eigene Faszination.

Wettererscheinungen treten oft territorial eng begrenzt auf. Hagel- oder Regenwolken ziehen urplötzlich über eine Gebirgskette, stapeln sich förmlich in einem Tal und entladen sich dann schlagartig und sind nach wenigen Minuten genauso plötzlich wieder verschwunden. Wenn man Glück hat, kann man das Schauspiel nur wenige Kilometer entfernt beobachten, ohne dass man auch nur einen Tropfen abbekommen hat. Dieses Glück ist uns heute praktisch zuteil geworden, der spontane Stop hat verhindert, dass wir mitten in den Wolkenbruch hineingefahren sind. Der Ort eignet sich zudem hervorragend für ein Camp, lediglich die Höhenlage und damit die zu erwartenden Nachttemperaturen trüben die Freude etwas. Aber dafür gibt es ja Feuerholz. Lichter Lärchenwald reicht bis zur Talsohle und so ist es nur eine Frage von Minuten und ein beachtlicher Holzstapel wartet darauf, entzündet zu werden. Kurz darauf sprüht das trockene Lärchenholz einen wahren Funkenregen in den klaren Nachthimmel und tritt damit in Konkurrenz zu aber tausenden von Sternen.

Das Bezirkszentrum Zezerleg wird von vielen europäischen Reisenden als die angenehmste Bezirksstadt der Mongolei empfunden, das liegt in der Hauptsache daran, dass die Ansiedlung inmitten von Bergen liegt und auch innerhalb der Stadt Bäume keine Seltenheit sind. Objektiv betrachtet ist Zezerleg jedoch kaum anders angelegt und ausgestattet als die anderen mongolischen Bezikszentren. Die planmäßige und nur auf Zweckdienlichkeit ausgerichtete Entwicklung ist jedoch mit dem Jahr 1990 und der reinen Marktwirtschaft endgültig beendet worden. Die ehemals subventionierte Industrie auf dem flachen Land hat ihre Arbeit lange eingestellt, der Zuzug vom Lande vollzieht sich fast ungebremst und der ausufernde Containermarkt stellt das Zentrum aller wirtschaftlichen Aktivitäten dar.
                                                                                          

Das was sich in Ulan-Bator noch als prosperierender Kapitalismus verkaufen läßt, das wirkt hier oftmals nur noch lächerlich. Spätestens hier wird klar, die Aimakzentren sind der große Verlierer des wirtschaftlichen und politischen Umbaues. Obwohl die Bezirkszentren volkswirtschaftlich eine wichtige Rolle für den riesigen Flächenstaat Mongolei spielen müßten, ist ihre Zukunft eher traurig. Eine globalisierte Weltwirtschaft hat keinen Platz für Regionen fernab der Infrastrukturen, lediglich das Internetcafe im Gebäude der Hauptpost läßt ein bisschen hoffen, dass solange das Bildungsniveau der Bevölkerung noch so hoch ist, eine Selbsthilfe möglich wäre. Aber spätestens in einigen Jahrzehnten, wenn die nomadisierenden Familien ihre Kinder aus rein wirtschaftlichen Gründen immer seltener in die Schulen gehen lassen, dann dürfte eine Generation herangewachsen sein, denen das Internet als Analphabeten auch nichts nutzt.

Das nächste Ziel, das wir ansteuern ist eine Jurte im Saichan-Aimak, hier wollen wir uns mit deutschen Reisenden treffen und gemeinsam zwei Wochen Reiturlaub am Khuvsgul See verbringen. Da Jurten nun mal keine mit dem Boden verbundenen Bauwerke sind und hin und wieder mal umziehen, weiß man aber nicht genau wo man die vereinbarte Jurte finden wird. Klar ist nur die Uhrzeit und zwar um 16:00 Uhr.

Als möglicher Standort kommt ein Gebiet von etwa 100 Quadratkilometern Größe in Betracht. Das stellt aber in der baumlosen Steppe kein erhebliches Problem dar. Nachdem die Koordinaten erreicht sind ergibt ein erhöhter Rundumblick etwa 10 Jurten die als Aufenthaltsort in Frage kommen. Jetzt muß man sich nur noch soweit den Jurten nähern um eventuell Zelte erkennen zu können. Schon bei der zweiten Jurte haben wir Erfolg, zwei kleine Zelte deuten daraufhin, dass sich unsere deutschen Bekannten hier aufhalten. Leider müssen wir aber feststellen, dass keiner von ihnen anwesend ist. Sie sind mit Pferden unterwegs und treffen dann erst etwa eine viertel Stunde später ein, wir hatten aber den Zeitplan exakt eingehalten und waren wie verabredet um 16:00 Uhr und nach etwa 2'100 Kilometern pünktlich angekommen, was hier aber eigentlich keine große Rolle spielt.

Von hier aus werden wir gemeinsam aufbrechen und noch einmal 700 Kilometer zum Khuvsgul See zurücklegen, wo wir vorhaben, zwei Wochen mit Pferden die Landschaften des hohen Nordens in der Mongolei zu durchstreifen. Um dahin zu gelangen fehlt uns aber noch ein Fahrzeug, die beiden UAS, die bereits den ersten Teil der Reise bewältigt haben sind nicht in der Lage die nun stark angewachsene Reisegesellschaft zu befördern. In solchen Situationen muss man aber Nerven bewahren, denn das Fahrzeug soll aus Ulan-Bator kommen und das sind etwa 500 Kilometer Piste und damit eigentlich zwei Tagesreisen.

Aber wie sich dann bei der Ankunft weit nach Mitternacht und damit etliche Stunden zu spät herausstellt, hatte der mongolische Fahrer natürlich noch viele unaufschiebbare Dinge zu tun und konnte erst am Mittag desselben Tages in Ulan-Bator aufbrechen. Das bedeutet die Strecke Frankfurt-Berlin auf bestenfalls unbefestigten Feldwegen und das in 12 Stunden, so oder so ähnlich sieht alltäglicher mongolischer Wahnsinn aus. Wir gehen die Sache dann aber lieber gemütlich an und nehmen uns für die Strecke bis Murun zwei Tage Zeit, dabei fällt immerhin eine Übernachtung an der Selenge ab einem der beeindruckendsten Ströme der Mongolei. Hier bei Khutag ist der Fluß sehr wasserreich und er schlängelt sich natürlich völlig unverbaut durch bewaldetes Gebirge.

Die eigentliche Reittour beginnt an einem Salzsee nördlich von Murun. Während die ersten drei Etappen noch durch trockene Steppe führen ist am Abend des dritten Tages das Ufer des Khuvsgul Sees erreicht. Dichte Taiga bildet vor allem auf der Ostseite des Sees eine stellenweise kaum durchdringbare Wildnis. Die nunmehr drei Fahrzeuge sind zur Begleitung und zum Transport unseres Hausrates zwar immer noch dabei, sie können aber dem Weg der Pferde durch dicht bewaldeten Hänge nicht mehr folgen, die einzige Möglichkeit die Reise gemeinsam zu bestreiten besteht darin, dass die Fahrzeuge auf der etwas östlicher verlaufenden Piste sich Richtung Norden vorkämpfen und dann die Täler der seewärts fließenden Flüsse nutzen, um wieder das Ufer des Khuvsgul zu erreichen. Vorausgesetzt man findet den gleichen Treffpunkt, dann ist diese Variante durchaus praktikabel.
                            

Allerdings haben beide Teams mit Tücken zu kämpfen, für die Reiter im unwegsamen Gebirgswald sind es hauptsächlich tief hängende Äste, die zum unfreiwilligen Absteigen sorgen können und für die Fahrzeuglenker ist es der selbst für mongolische Verhältnisse extreme Zustand der Piste. Unter dem Wasser von kleineren Flüssen völlig abgesoffene Bereiche sind von den wenigen LKW, die diese Piste benutzen, soweit zerstört, dass ein Passieren für die im Vergleich recht kleinen UAS zu einer riskanten und sehr zeitraubenden Angelegenheit wird. Abgefetzte Stahltrosse am Rand besonders tiefer Löcher erzählen ihre eigenen Geschichten über hartnäckige Bergungsversuche.

                                                                                     

Im kleinen Museum von Khatgal, am Südufer des Sees wird nicht ohne Stolz davon berichtet, dass hier die miserabelste Piste der Mongolei liegt und die Fahrt vom Süd- zum Nordende des Sees über 20 Stunden erfordert. Es mag in anderen Regionen ähnlich schwere Pisten geben, aber sicherlich keine, die zu einem internationalen Grenzübergang führt. Der liegt unweit des Nordufers und stellt eine eigentlich wichtige Verbindung zwischen Rußland und der Mongolei dar.

                   

Früher wurde der Transport auf dem See mittels vier Frachtschiffen abgewickelt, aber die dürfen wegen Ölverlustes nicht mehr das Gewässer befahren. Ob allerdings durch LKW, die die zahlreichen Zuflüsse queren oder gar in diesen steckenbleiben, weniger Öl in den See gelangt, ist kaum anzunehmen. Das Wasser des Khuvsgul ist heute noch extrem klar, wie im genannten Museum behauptet wird, doppelt so klar wie im Baikal. Eigentlich nicht weiter verwunderlich, denn der See ist bis 260 Meter tief, im Sommer kaum 14 Grad warm, und es gibt praktisch keine unnatürliche Einleitung, anders als beim Baikal, wo Siedlungen, Straßen, Eisenbahnen und ganze Industriebetriebe verunreinigtes Wasser einleiten.

Es gibt allerdings auf Grund des nicht allzu üppigen Nährstoffgehaltes auch weniger Fisch als sonst üblich in mongolischen Gewässern. Zudem hält sich der Fisch auch selten in Ufernähe auf und so sind die allabendlichen Angelversuche nur selten von Erfolg gekrönt. Überhaupt sind die Abende hier ganz anders als noch vor wenigen Tagen in der Gobi. Die Zelte stehen hier unter knorrigen Bäumen, meist mit Blick auf die riesige Wasserfläche, deren Wellen gegen das Steilufer schlagen, das Lagerfeuer wird von dicken Holzstämmen und nicht von Kameldung genährt und nach Sonnenuntergang sinken die Temperaturen gewaltig in den Keller und die deutlich spürbar höhere Luftfeuchtigkeit lässt schon langsam frösteln.

                                                                                         

Man wähnt sich hier viel weiter im Norden als man geographisch gesehen eigentlich ist. Es ist kaum zu glauben, dass zwischen den beiden extremen Landschaften nur weniger als tausend Kilometer liegen. Auch die Tierwelt ist so gar nicht vergleichbar, während wir vor einigen Tagen noch einen Khulan, den Wüstenwildesel im Abendlicht beobachten konnten, verschwindet hier ein riesiger Elch in der Abenddämmerung im dichten Wald.

Was aber nahezu alle Regionen in der Mongolei vereint ist die fast identische Lebensweise der Nomaden. Die Jurten in denen sie leben, die Speisen, die handwerklichen Traditionen, ihre Bräuche, die Art der Viehhaltung, all das weist eigentlich keine bedeutenderen Unterschiedlichkeiten auf. Auch in dieser Region gibt es Jurten und Vieherden, neben Schafen und Ziegen vorrangig Yaks, allerdings findet man beides nur in den offenen Steppenlandschaften der Täler. Die Uferzone des Sees, in der wir uns mit den Pferden hauptsächlich bewegen ist dicht bewaldet und unbesiedelt. Einen Unterschied stellt man lediglich in den wenigen kleinen Siedlungszentren fest, während in südlichen Regionen regelrechte Jurtensiedlungen entstanden sind, bestehen Kommunen im Norden praktisch vollständig aus Blockhäusern. Aber hier, am Ostufer des Khuvsgul, gibt es sowieso keine Siedlungen und für denjenigen der nur mit Pferden und ohne ein Auto unterwegs ist, ist der einzige Ort am Südufer zwei Tagesreisen entfernt. Einsamkeit ist garantiert, lediglich am Abend zeigt sich hin und wieder ein Lagerfeuer auf der gegenüberliegenden Seite des Sees, ein Beweis dafür, dass man nicht allein unterwegs ist. Nach knapp zwei Wochen übergeben wir die Pferde wieder ihrem Besitzer, der uns natürlich begleitet hatte und verabschieden uns vom Khuvsgul.

Jens Geu, Sommer 2001