Reiseberichte aus der Mongolei Jens Geu

Ein Stadtrundgang in Ulaanbaatar


Alle möglichen Veröffentlichungen arbeiten daran, so müsste man glauben, den Ruf der mongolischen Hauptstadt möglichst zu ruinieren. Wenn man die Stadt aber etwas besser kennt, kann man diese Meinung sicher nicht teilen. Was ist also der Grund für die ungerechtfertigte Diskriminierung der einzigen Metropole der Mongolen? Sicherlich spielt oft eine gewisse Enttäuschung der Mongoleireisenden mit der Vorstellung von Jurtenromantik eine wichtige Rolle. Sie kommen aus West-Europa landen nach 10 Stunden Flug in der Mongolei und erwarten allenfalls ein überschaubares Städtchen mit Steppenluft, Folkloreveranstaltungen, „mongolischer“ Gelassenheit und vielleicht noch einige hinterwäldlerische Staatsbeamte die die Statistik über die Viehbestände verwalten. Wie groß muss dann der Schock sein, wenn man sich plötzlich im Verkehrschaos einer fast Millionenstadt wiederfindet, in der jeder jeden Schritt mit dem Auto zu fahren scheint, in der die Werbeplakate solche Ausmaße annehmen, dass die Masten dafür fast so groß wie Funktürme sind und bei jedem Dritten das Handy vom Dauertelefonieren schon an das Ohr gewachsen zu sein scheint? Eigentlich alles Dinge, die für Asien völlig normal sind und die auch jeder so erwarten würde, aber eben nicht unser westeuropäischer Jurtenromantiker. Für den steht fest: das ist nicht die Mongolei, das ist hässlich. Nur genau das ist natürlich nicht richtig, denn diese Stadt bestimmen nun mal die Mongolen und mittlerweile sind das über ein Drittel der gesamten Landesbevölkerung, die hier leben. Im Übrigen pflanzt sich das Bild heute auch in die Aimakzentren fort. Handys und Motorisierung breiten sich dort ebenso rasend aus. Lediglich der Bauboom ist da noch nicht angekommen.

Beginnen wir also unseren Stadtrundgang, den wir aber lieber mit einem Auto unternehmen, denn Fußgänger sind in UB eher böse dran. Gehen wir zunächst dorthin, wo der Jurtenromantiker mit Sicherheit auch noch hinwill, nämlich in das Gandankloster. Eine echte Touristenattraktion – wie geschaffen für den späteren Reisebericht, etwas mystisch, schön bunt für die Diasammlung und Geschichten gibt es auch dazu: zum Beispiel von der Zeit vor 1990, aber leider stimmen die oft nicht ganz, denn das Gandan war auch damals ein Kloster und es sah nicht anders aus als heute. Man hatte es zur offiziellen buddhistischen Hochschule gemacht und auch damals klebten Schüler ihre Wunschzettel für eine gute Prüfungsnote an die Gebetsrollen. Heute wünscht man sich auch mal geschäftliche Erfolge, oder man holt sich gleich einen Oberlama zur Weihe seiner Stadtrandvilla nach Hause.

Erst nach 1990 wieder dazu gekommen ist die riesige Buddha-Statue im architektonisch wirklich schönen und größten Tempel der Anlage. Gleich unterhalb der Gandananlage hat ein offizieller Schamane seine Jurte aufgeschlagen, eine Berufsgruppe, die in der Mongolei stark am Wachsen begriffen ist, nachdem selbst hohe Regierungspolitiker der Öffentlichkeit ihre Verbindung zu solchen Orakeln präsentieren und ausländische Filmteams ein neues Lieblingsmotiv gefunden haben.

Wir verlassen das Gandan, aber nicht in die Richtung, in die alle Touristen gehen, zur Enchtaiwan (Friedensstraße), sondern gehen am nördlichen Ausgang in Richtung Westen, zur eigentlichen Hauptgeschäftsstraße von UB. Straßennamen kennt in UB sowieso niemand, also schenken wir uns den gleich, sie ist auch kaum zu verfehlen. Diese Straße liegt in einem der größten Wohngebiete der Stadt und wird dem Jurtenromantiker so gar nicht gefallen, ist aber nun mal wirklich echt UB. Zwischen die Hochhäuser aus den 80ern sind kunterbunt neue Geschäftsbauten gewürfelt, in denen Elektronikläden, Supermärkte, Kneipen und Bars die letzte Jurtenromantik verderben. Es sieht hier auch nicht nach durchgestylter und bis ins Detail beplanter deutscher Erlebnismeile aus, es ist alles spontan, ständig in Veränderung oder einfach nur improvisiert. Was man hier weniger finden wird sind spezielle Touristenshops für Souvenirs und Kaschmirprodukte wie im Stadtzentrum, aber dafür ist das übrige Angebot mehr als reichlich. Die Lebensmittelmärkte führen neben dem fast kompletten deutschen Sortiment vor allem noch koreanische Waren. Wer seine Tourverpflegung heute in UB zusammen stellt braucht auf absolut nichts zu verzichten.

Das Einkaufen in diesen Supermärkten ist mittlerweile genauso einfach wie in Deutschland. Die hochmodernen Scannerkassen sind in der Regel mit Bildschirmen ausgestattet, so dass der Kunde immer genau gezeigt bekommt, welches Produkt gerade berechnet wurde und wo die Zwischensumme steht, man braucht also keinen Dolmetscher mehr und bekommt exakt das berechnet, was auch im Wagen liegt.

Wer noch etwas Abenteuer beim Einkaufen erleben möchte, der muss zum Zach, dem Freiluftmarkt fahren. Zu Fuß ist der Markt schon etwas weit vom eigentlichen Stadtzentrum entfernt, also ein Taxi nehmen und am besten einen mongolischen Begleiter, denn hier sollte man einen Übersetzer dabei haben, der auch ein bisschen ein Auge auf unaufgeforderte Begleiter hat, die vornehmlich Touristen um überschüssiges Geld erleichtern wollen. Der Zach beherbergt die Stände von 2’000 Händlern, die hauptsächlich chinesische Waren anbieten. Lohnenswert für Ausländer sind vor allem Jeans, die hier in allen Marken und Ausführungen bereits unter 10 Euro zu haben sind, vielleicht nicht immer mit ausdrücklicher Zustimmung des Markeninhabers. Der Zach ist eine eigene, typisch mongolische Einrichtung, er ist kein orientalischer Basar auf dem um exotischen Krimskrams gefeilscht wird, er ist straff organisiert, hat feste Preise und bietet hauptsächlich Industrieprodukte an, aber die Preise sind unschlagbar und er ist einfach riesig. Chaotisch wird es allerdings bei heftigen Regenfällen, dann sollte man das Gelände schleunigst verlassen, bevor das asphaltierte Terrain zum See wird.


Wenn man schon in dieser Ecke der Stadt ist, sollte man gleich zum Bogd Khan Palast südlich der Friedensbrücke fahren. Auf dem Weg dorthin kann man auch das ganz neue Gesicht von UB kennenlernen: Einfamilienhäuser und Villen mit Doppelgaragen und gepflegten Gartenanlagen. Die Akkumulation von privatem Kapital ist 13 Jahre nach der Wende in vollem Gange. Das in diesem Jahr in Kraft getretene Bodengesetz wird sein Übriges tun und möglicherweise einen unkontrollierten Bauboom auslösen. Richtig bescheiden nimmt sich die Wohnstätte des letzten feudalen Herrschers der Mongolei, der Bogd Khan Palast aus. Die Anlage besteht aus kunstvollen Holzkonstruktionen im chinesisch-mandschurischem Stil und einem russischen Wohnhaus, das aber nicht unbedingt einen fürstlichen Eindruck macht. Die Anlage lässt erahnen, dass das alte Urga nur eine Mischung aus chinesischer und russischer Provinzgemeinde war und was die letzten, etwa 50 Jahre, für enorme Veränderungen mit sich gebracht haben.

Allein in den letzten 20 Jahren hat sich die Einwohnerzahl der Metropole verdoppelt und wird vermutlich in zwei Jahren die Millionengrenze erreichen. Richtig deutlich wird der Zuwachs bei einem Blick über die Stadt vom nahe dem Bogd Khan Palast gelegenen Zaisan Berg oder besser noch von einem Gipfel des Bogd Uul. Während man den Zaisan über eine Treppe in ein paar Minuten bezwungen hat, sollte man für den Bogd Uul schon einen halben Tag einplanen. Der über 2’200 Meter hohe Hausberg der Stadt hat im Übrigen mehr zu bieten als Ausblicke. Er verfügt über eine intakte alpine Pflanzenwelt, Hochmoore, Felsspitzen und Bergwald. Wer sich sogar zwei Tage Zeit nimmt, kann auf der Südseite des Berges Zuun Mod erreichen und hat mit wenig Aufwand schon eine Wildnistour im mongolischen Norden erlebt.

Kehren wir aber wieder in das Stadtzentrum zurück und schauen uns nach einem Lokal um. Die Auswahl ist kaum zu überschauen, alle möglichen Nationalitäten bieten ihre Küche an. Wer es deutsch liebt, der geht eventuell in das Chingis, mit der angeschlossenen Brauerei gleichen Namens. Es liegt zwar nicht unmittelbar im Zentrum, sondern auf der nördlichen Suchbaatar Straße, aber noch zu Fuß erreichbar. Das Essen passt, die Stimmung ist recht ausgelassen und das hauseigene Bier ist erstklassig. Beim Namensvetter Khan Bräu sieht das nicht ganz so gut aus. Das ursprüngliche Khan Bräu gegenüber dem Bayangol Hotel ist einfach nicht mehr zeitgemäß und der Neubau mit dem Namen Brauhaus hat den Charme einer deutschen Uni-Mensa.

Wer mit seinem Abendessen auch etwas mongolische Folklore Musik konsumieren möchte, der sollte das Chingis Restaurant auf der Zaluuchuud Straße besuchen. Es ist nicht zu verwechseln mit der bereits erwähnten Chingis Bierkneipe. Das Restaurant ist eine bizarre Mischung aus koreanischer Küche, mongolischer Folklore und rustikaler Taigaromantik, geschmückt wird das ganze noch mit einer Vielzahl deutscher Weihnachtssterne und einer schwarzwälder Kuckucksuhr, die neben mongolischen Rüstungen die Wände ziert. Vornehmlich Koreaner und Russen suchen neben Mongolen dieses Lokal auf, dass eine sehr akzeptable Auswahl an koreanischer Küche zu bieten hat und zumindest am Wochenende mongolischen Obertongesang präsentiert.

Wer die Nacht verlängern möchte braucht nicht weit zu laufen, gleich neben an ist eine der mehr als zahlreichen Nachtbars angesiedelt. Die sind wie überall auf der Welt ziemlich langweilig und hier hauptsächlich auf asiatische Touristen und ausländische Diplomaten und deren mongolische Business-Freunde ausgerichtet.

Wesentlich interessanter geht es in manchem der Hauptstadtdiskos zu. Renner im Moment ist hier der UB Palast etwas abseits des Zentrums. Eine Einrichtung, die fast vollständig ohne die oben erwähnten Touristen auskommt. Insgesamt bietet der Eventtempel gleich mehrere Bereiche, wobei die sogenannte Laser Disko Technik und Sound vom Allerfeinsten bietet. Die erstklassigen Techno DJs bringen hier am Wochenende bei weit über tausend Tanzwütigen Love Parade-Stimmung in die Halle mit drei Ebenen. Hier feiert sich die Generation selbst, die in den nächsten, vielleicht zehn Jahren, das Gesicht von UB prägen wird, absolut selbstbewusst, kreativ und ziemlich respektlos – nichts für Jurtenromantiker.

Jens Geu, Sommer 2003